Der Mythos vom Logos

Gedanken über den Menschen

Inhalt

Aktualisiert Januar 2025

Vorbemerkung/Triggerwarnung

Das vorliegende Essay ist keine heitere Lektüre. Deshalb erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass ihr euch beim Lesen kritisch beobachtet und bei zunehmender Verzweiflung eine Pause einlegen solltet. Die menschliche Weisheit ist ein Mythos, dem wir beharrlich folgen. Leider vereitelt dieser Mythos eine durchgreifende Veränderung unseres Verhaltens. Diese Veränderung aber wäre dringend erforderlich.

Danksagung

Mein Dank gilt in besonderem Maße den unzähligen freiwilligen Autorinnen und Autoren der freien Enzyklopädie Wikipedia. Wem freies Wissen und Erkenntnis wichtig ist, sollte hier spenden oder auch mitmachen.

Einleitung Einleitung

I Vernunft versus Verstand oder Genügt Wissen allein? Kapitel I

II Wissenschaft / Medizin oder Wer hilft? Kapitel II

III Evolution der Gewalt oder Wer hat die Macht? Kapitel III

IV Klima / Naturschutz oder Braucht die Welt den homo sapiens? Kapitel IV

Epilog Epilog

English Summary

Supplement 1: Daniel Hahnemann System 1

Supplement 2: Das Wingspread Statement

Supplement 3: The State of Food and Agriculture 2023

Supplement 4: Das demokratische Versprechen gilt nicht mehr?

Supplement 5: Make America great again – Träume eines Präsidenten.

Supplement 6: Das Patriachat und die Medizin für Frauen.

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Quelle: Time Magazine Januar 1989.

Epilog

English Summary

(Aktualisiert im März 2025)

Alle denken nur, wie man die Menschheit ändern könnte, doch niemand denkt daran, sich selbst zu ändern.

Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi, 1828 – 1910


Homo sapiens sapiens, ein Spieler?

So sind wir nun am Ende der Reise angelangt. Sie hat uns vor Augen geführt, wie wenig die Vernunft in Wirklichkeit herrscht und bewiesen, dass Wissen allein nicht ausreichend ist. Hat uns zu Wissentschaft und Forschung geführt, die unsere grundlegenden Probleme nicht lösen können. Sie hat uns gezeigt, dass dort, wo Vernunft mangelt, die brutale Macht des Stärkeren obsiegt. Und der Verlierer ist am Ende unsere Heimat, unsere geliebte Erde und damit wir alle.

Ich bin müde und frustriert, andauernd nur schlechte Nachrichten. Ich lebe in einer Zeit der Katastrophen und müßte dringend etwas dagegen tun. Aber die tägliche Routine beansprucht mich so, dass ich weder zum Nachdenken, geschweige denn zum Handeln komme (Aktueller Bericht des Expertenrates). So geht es nicht voran. Das Problem ist meine Unfähigkeit, mein Handeln zu ändern. Neue Handlungsstrategien zu entwickeln, wenn ich sehe, dass etwas grundlegend falsch läuft. Die Rettung erhoffe ich mir von technischem Fortschritt, wie der KI, die aber ebenfalls fehleranfällig ist und die riesige Mengen an Energie benötigt (Handelsblatt, 2024).

Es ist, als säße ich in einem Zug, der auf eine sichtbare Katastrophe zusteuert. Und was mache ich? Ich halte meine Hand aus dem Fenster, in der völlig vergeblichen Hoffnung, damit die Fahrt zu verlangsamen – nur eine hilflose Geste. Gleichzeitig stehe ich im Führerstand der Lokomotive und verfeuere fossile Brennstoffe, als hinge mein Leben davon ab, CO2 in die Atmosphäre zu pusten (Subvention fossiler Brennstoffe). Ich spiele mit meinem Überleben.

Ich verbrauche meine begrenzten geistigen Energien in einem sinnlosen Kampf um Besitz und Vorrang. Mein ausschließlich affektgesteuertes Wirtschaftssystem ist die Grundlage dieser Katastrophe. (Supplement 4). Das ist ganz offensichtlich von mir so beabsichtigt. Der unerbittliche Götze des steten Wachstums wird angebetet. Und er wird mich unweigerlich verschlingen. Denn die Grenzen meines Planeten sind erreicht, ja überschritten (Planetare Grenzen). Zwar komme ich mit Mühe ins All und auf den Mond – von der Reise zum Mars kann ich nur fantasieren-, aber auf der Erde komme ich nicht substanziell voran. „Wir amüsieren uns zu Tode„, sehen politisches Kabarett, wir wissen Bescheid. Und es passiert: Nichts! Das Buch von Neil Postman, das mich zu der Formulierung inspiriert hat, stammt aus dem Jahr 1988.

Allenfalls bin ich kurzfristig beunruhigt. Ich hole mir schnell ein Bier, eine Tüte Chips und schaue eine Quizshow. Dort wird mir „Wissen“ präsentiert, das völlig irrelevant ist. Nur ein Spiel, ein Zeitvertreib. Und wieder ist ein Abend vorbei, an dem ich mich an der Wahrheit vorbeigedrückt habe. Das ist Absicht: Solange ich konsumiere, stelle ich das bestehende System nicht in Frage. Aber kann ich so viel Netflix schauen, dass ich den Horror um mich herum vergesse? Um nicht völlig durchzudrehen, sehe ich mir keine Nachrichten mehr an.

Überbevölkerung, Artensterben und Klimawandel, don’t panic!

Immer mehr Homo sapiens sapiens bevölkern die Welt. Die Folge ist ein ständig steigender Verbrauch von Ressourcen. Hunger, Durst, Krankheit, Vertreibung und Massenmigration sind unausausweichlich (Uneso.org Bericht 2023). Aufgrund der ungerechten Verteilung der Welt (World Inequality Lab) führen steigende Aggressionen zu Verteilungskämpfen mit zunehmenden und rücksichtslosen kriegerischen Konflikten (Klare, 2019) (HIIK, 2022). Ich bewege mich in einem Teufelskreis aus Kränkung und Hass. Die Massaker von heute erzeugen die Massenmörder von morgen. In den traumatisierten Kinder von Gaza et al. wächst die künftige Gewalt heran. Für diesen Teufelskreis braucht es keinen Teufel, es reicht der Mensch.

Alte und neue politische wie auch wirtschaftliche Machtzentren konkurrieren um die Vorherrschaft in einer zukünftigen Welt. Ich bin bislang erfolglos auf der Suche nach einer funktionierenden Herrschaftsform. Die Ära der Politiker neigt sich gerade dem Ende zu – an Ihre Stelle treten die Dealmaker. Jeder ist sich selbst der Nächste. Denn es fehlt die wirksame globale Kooperation (Prof. Dr. D. Messner). Die einzige Chance, etwas Wirkungsvolles zur Rettung der Spezies Mensch und seiner Umwelt zu tun.

Der Verlust der Biodiversität und das Artensterben durch Fragmentierung und unsachgemäße Behandlung des Planeten führt zu einem Kollaps der Ökosysteme, aller Ökosysteme (Kolbert, 2021). Schon geringfügige Veränderungen der Umwelt führen zu dramatischen Populationsverlusten in Lebensräumen wie dem Ozean (Science.org, 2023). Steigende CO2 Werten der Atmosphäre und höhere Durchschnittstemparaturen führen zum Massenaussterben im Meer (Ozeanisches anoxisches Ereignis). Die Ökosysteme sind nicht für mich gemacht worden, sondern mit mir. Ich bin ein Teil und auf eine intakte Umwelt zwingend angewiesen (Rich, 2022).

Dabei habe ich diese Systeme, die mein Überleben garantieren, bis heute in ihrer Komplexität nicht annährend verstanden. 90% der Tiefsee sind mir unbekanntes Gebiet. Noch bevor ich die Arktis oder die Tiefsee erforscht habe, ist mein Plastikmüll schon dort angekommen. Die großräumige Ausbeutung der Tiefsee-Mineralien steht kurz bevor, ohne dass ich die Auswirkungen meines Tuns abschätzen könnte (Greenpeace, 2024). Ich entlasse unglaubliche Mengen an biowirksamen Chemikalien in die Umwelt, deren Folgen für die Biodiversität und die Ökosysteme verheerend sind (Wingspread Statement, 1996) (BUND, 2024) (taz, 2024). Es gibt vielfache Kipp-Punkte im globalen System und ich weiß nicht mit Sicherheit, ob diese bereits erreicht oder sogar schon überschritten sind. Sicher ist nur das Eine: Auch meine Spezies kann dem 6. Artensterben zum Opfer fallen. Ich bin Täter und Opfer.

Die globalen Veränderungen des Klimas in bisher nicht gekannter Geschwindigkeit sollten mich eigentlich in Aufregung versetzen (Anthropogener Treibhaus-Effekt). Erst 2021 wurde im 6. Sachstandsbericht des IPCC der Klimawandel als spezieseigenes Versagen anerkannt. Der Wissenschaftler Svante Arrhenius hatte schon 1896 den Zusammenhang zwischen CO2 Konzentration in der Atmosphäre und Temperatur beschrieben.

Aber standhaftes Leugnen und beherztes Tragen eines Aluhuts machen es möglich, einfach weiterzumachen. Ich verweigere mich den offentsichtlichen Fakten (Dr. Holm Gero Hümmler). Das Recht auf Zukunft wird von einer Minderheit der jetzt und seit der industriellen Revolution lebenden Menschheit der Mehrheit der Nachgeborenen verweigert (Thunberg, 2022). Eine Minderheit der reichen Länder – und dabei nochmals eine absolute Minderheit der Superreichen – verwehrt einer Mehrheit der armen Länder ein menschenwürdiges Leben. Diese Vielen haben nicht die geringste Chance. Die Gefahr für Leib und Leben, die Verletzbarkeit von Körper und Geist ist wie immer am größten bei denen, die arm, weiblich und ohne Bildungschancen sind. Frauen und Kinder, als größte Gruppe, haben keine Stimme, sich Gehör zu verschaffen, keine Lobby, die für sie kämpft und sind von Katastrophen, welcher Art auch immer, stets am meisten betroffen (Oxfam, 2023).

Wir Jetzigen (natürlich auch die Bisherigen) haben den kommenden Generationen alle Möglichkeiten einer zeitgerechten behutsamen Intervention genommen und wir wissen es! Ich erzeuge eine zunehmende Problemkomplexität, der ich nicht mehr gewachsen bin (Vester, 1989).

Ich globalisiere Probleme, aber keine Lösungen.

Ich verliere den Überblick über die Vielzahl der weltweiten Probleme und werde traumatisiert von den zunehmenden Großschadensereignissen. Darüber vergesse ich, dass sich ständig schleichende, weitgehend unbemerkte Veränderungen vollziehen. Die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und den möglichen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen in einer globalisierten Welt erkenne ich erst, wenn es zu spät ist (UNDRR, United Nations Office for Disaster Risk Reduction). (National Research Council. 2013. Climate and Social Stress: Implications for Security Analysis. Washington, DC: The National Academies Press).

Der Mythos vom Anthropozän ist eine Fiktion. Ich glaube, ein erdgeschichtliches Zeitalter zugestalten. Aber die unkontrollierbaren, triebgesteuerten menschlichen Handlungen gestalten letztlich den showdown meiner Spezies.

Ich gestalte nicht neu, ich gestalte um, ich verunstalte.

Ist es möglich“, fragt R. M. Rilke, „dass man die Jahrtausende hat vergehen lassen, wie eine Schulpause, in der man sein Butterbrot isst und einen Apfel?“ (Rilke, 1910)

Ja, lieber Herr Rilke, leider ist das so. Ich bin keinen wirklich entscheidenden Schritt weitergekommen, seitdem ich die afrikanische Steppe verlassen habe. Meine begrenzten technischen Fähigkeiten sind nicht in der Lage, meine eigene Apokalypse zu bremsen. Nein, im Gegenteil, sind eines meiner Probleme. Mir wurde das Geschenk dieser Welt, meiner Existenz gemacht, ich bin ihr aber weder gewachsen, noch würdig, wie es scheint.

Ich kann zu viel und gleichzeitig nicht genug.

Ich kann Atomkerne spalten und fusionieren, kann eine Atombombe bauen und ich kann nicht verhindern, dass ich sie gegen mich selbst einsetze. Erst verbreite ich Chaos, dann versuche ich erschrocken aufzuräumen, aber das gelingt mir nicht.

Die Tatsache, auf zwei Beinen zu stehen, hat mir keinen Überblick verschafft. Ich bin „Der nackte Kaiser“ und hoffe, dass niemand meine Blöße bemerkt. (Andersen, 1837)

Wir leben in einer Zeit der Narren auf dem Thron.

Ich lasse zu, dass Inkompetenz und Narrentum über das Schicksal meiner Spezies entscheidet: Die Herrschaft der Dilettanten, der Schwätzer und Hochstapler. (Duve, 2014)

All meine Entschuldigungen helfen mir nicht. Die Verschwörungstheorien von der Weltverschwörung der Eliten (Great Reset), von dunklen KI-Mächten, von heilsamen Kräften des freien Marktes lenken mich nur von der Wirklichkeit ab. Ich fürchte mich vor den Asylanten, den Einheimischen, den Chinesen, den Amerikanern, den Armen, den Reichen, den Leugnern, den Befürwortern, alle sind verdächtig. Nur ich nicht.

Ich warte auf den Führer, die Lichtgestalt, den Propheten. Doch zu allen Zeiten hat „Der große Führer“ nur eines produziert: Leid und Verzweiflung. Auch der Glaube an einen rachsüchtigen Gott, dem es gefällt, wenn Ungläubige getötet werden, ist einfältig. Es gibt kein Paradies und keine Jungfrauen für Mörder.

Das Verhängnis lauert in den unzähligen verschlossenen Schubladen, die ich zum Verständnis dieser Welt mit Erkenntnissplittern gefüllt habe. Mehr als Fragmente sind es aber nicht.

Die Vielgestaltigkeit der Lebenswirklichkeiten von allen Homo sapiens sapiens sollte mich lehren, dass es eine allgemeingültige und einfache Erzählung nicht geben kann. Ich beurteile meine Welt und ihre Geschichte – sowohl individuell als auch im Gruppenkontext – immer aus meiner heutigen Sicht und nur für meine heutige Sicht.

Ich bekomme die großen Zusammenhänge und Erkenntnisse meiner Existenz nicht überlebens- oder handlungsfähig zusammen.

Gott würfelt?

Ich existiere in dem ultrakurzen Moment der Gegenwart. Ich kann ihn nicht festhalten. Ich begreife die Zeit nicht. Ist sie für mich überhaupt verständlich? Sie beherrscht mich und vergeht unablässig. Das auf den Boden gefallene Glas ist zersprungen – ein Zurück ist unmöglich.

Die Evolution hat mich mit einem Verständnisapparat ausgestattet, der mein Überleben auf dieser Welt sichert und das ziemlich effizient (Sterzer, 2022), wenn ich die wachsende Weltbevölkerung sehe. Aber ich werde beherrscht von der Welt, von der Evolution, die ich als Untertan wähne.

Seit Beginn meines Denkens frage ich mich:

Hat der Gott einen Plan?

Würfelt Gott oder nicht? Wenn ja, hat er Spaß an dem Spiel?

Gibt es überhaupt einen Plan oder ist alles nur Zufall?

Ich kenne den „Plan“ nicht und fantasiere über ein höheres Wesen, das mich geschaffen hat und die Fäden in den Händen hält. Unterschiedliche Religionen versuchen den Sinn des Lebens zu ergründen. Sie erzählen seit Jahrtausenden gewaltige Geschichten, damit ich mein kleines Leben hier und jetzt aushalte. Natürlich habe ich mir diese Geschichten selbst ausgedacht. Damit mich die Angst vor dem Unbeschreiblichen nicht umbringt.

Es sind im Wesentlichen Männerorden, auch Kirchen genannt, die mir die Welt und den Sinn erklären sollen. Aber die klerikalen Wahrsager haben keine Legitimation, kein höheres Wissen. Das stört mich nicht. Mir geht es nur darum, an etwas Größeres zu glauben. Und das gibt mir auch nebenbei einen guten Grund, meinem Nachbarn mit einer anderen Religion auf den Kopf zu hauen. Im Namen der Liebe Gottes.

Seit Urzeiten erfinde ich Mythen und Märchen von allgewaltigen Urkräften, von Göttern und schließlich von dem einen Gott. Gott hat seine eigene Evolution. Und je weniger Götter in meinen Mythen eine Rolle spielen, desto mehr wird meine Freiheit eingeschränkt. Der eine Gott verlangt unbedingten Gehorsam. Er schreibt mir vor, wie ich mich zu kleiden habe, was ich zu essen habe, mit wem ich Sex haben darf und schließlich, wie ich begraben werden soll. Der Mythos der Religion hat eine erzieherische und tröstende Funktion.

Je nach Religion ist der eine Gott geheimnisvoll, zornig, liebevoll oder listenreich.(Gellman/Hartman, 2016)

Die Rechtfertigung der leidvollen irdischen Existenz findet sich im Jenseits voller Glückseligkeit. Niemand hat dieser Darstellung bislang aus eigener Anschauung widersprochen. Jesus ist nicht wiedergekommen, obwohl es verheißen war. Vermutlich ist ihm die wahre Bedeutung seines Satzes endlich bewusst geworden: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lukas 23,34). Nein – ich weiß es wirklich nicht. Seine allumfassende Liebe und Gewaltlosigkeit rührt mich zu Tränen. Aber das hindert mich nicht meine Schwestern und Brüder zu töten, immer und immer wieder. Hätte Kain doch Abel nicht erschlagen! Vielleicht hätten wir eine Chance gehabt.

Der Buddhismus erzählt vom Samsara, dem ewigen Kommen und Gehen, dem Kreislauf des Lebens und von Nirwana, dem endgültigen Erlöschen von allem. Buddha hat den dritten, den mittleren Weg gefunden und beschritten. So erfuhr er alle Weisheit der Welt. Er läßt mich daran aber nicht unmittelbar teilhaben. Ich soll es selbst herausfinden. Aber sieht es in dieser Welt so aus, als würde ich es auch nur versuchen? Die fernöstliche Weisheit soll mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren – auch eine Möglichkeit, um nicht über meine eigene Dummheit nachdenken zu müssen. Ich soll in liebevollem Verständnis für mich und meine Unvollkommenheit sein. Das ist spendet Trost, hilft aber bei der Bewältigung des Klimawandel nicht weiter.

Warum sind alle Propheten nur so geizig mit einer funktionierenden Bedienungsanleitung für diese Welt? 

Weil es sie nicht gibt, weder die Propheten noch die Anleitung.

Auch der säkulare Homo sapiens sapiens hat keine Ahnung. Zwar wähnt er sich in Freiheit von allen herrschenden Religionen. Aber auch er folgt Mythen, die sein Leben bestimmen. Er nennt es Humanismus. Einer der Vertreter ist Richard Dawkins, ein streitbarer Evolutionsbiologe. Er verspricht mir selbstbestimmt Freiheit, wenn ich Atheist bin und meine Gene entscheiden lasse. Allerdings vermutet auch er, dass die menschliche Evolution zu langsam voranschreitet – im Angesicht der Problemliste unserer Dummheiten.

Der letzte Plan?

Gut möglich, dass der „Plan“ gar nicht existiert und/oder völlig ohne mich auskommt. Die Existenz der Evolution ist offensichtlich, zumindest wenn ich kein dogmatischer US-amerikanischer Evangelikaler bin. Aber es ist reiner Zufall, dass ich lebe, dass meine Spezies existiert. Homo sapiens sapiens ist in den Dimensionen der Evolution des Universum wie Plankton im Ozean. Ein Übergang, vielleicht auch eine evolutionäre Sackgasse. Es ist wahrscheinlich, dass auf anderen Planeten, in anderen Sonnensystemen eine völlig unterschiedliche Entwicklung stattfinden kann, stattfinden wird oder stattgefunden hat.

Dazu schreibt Klaus Mainzer in seinem Buch „Der kreative Zufall„:

Das Universum ist ein Quantencomputer...“- „Quantenfluktuationen bilden die fundamentale Grundlage des Zufallsrauschen in der Welt.“ – „Am Anfang war der Zufall, am Ende steht der Zerfall“ (Mainzer, 2007)

Ich kann nicht abschätzen, ob ich erfolgreich bin, ohne eine Vorstellung von dem „Plan“ zu haben. Und ob es überhaupt darauf ankommt, dass ich Erfolg habe. Wie soll Erfolg oder Mißerfolg definiert sein? Vielleicht sieht der „Plan“ vor, dass ich grandios scheitere und den Weg freimache – für wen oder was auch immer. Vielleicht für Homo futuris mit implementierter KI oder als quallenartige Superintelligenz Medusara im Ozean – vorausgesetzt, die Weltmeere sind dann noch für irgendjemanden bewohnbar.

Vielleicht hat der Supercomputer Golem aus Stanislaw Lems Erzählung „Also sprach Golem“ Recht: Die Evolution entwickelt sich nicht positiv, sondern negativ. Die zur Photosynthese befähigten Einzeller waren die eigentliche Errungenschaft des „Plans„. Und danach wurde es nicht komplexer und besser, sondern fehleranfälliger und schlechter. (Lem, 2009)

Es ist dringend Zeit alle diese falschen Geschichten hinter mir zu lassen. Es ist Zeit für Ehrlichkeit. Tapfer will ich die Welt retten, doch eigentlich sollte mir klar sein, dass ich nur meinen eigenen kleinen Hintern jetzt und hier retten will.

Es ist an der Zeit, falls uns diese Zeit noch zur Verfügung steht, zur Vernunft zu kommen. Es ist ein Frage von Leben oder Tod für die Spezies Mensch.
Mein Zorn und meine Verzweiflung über menschliche Unzulänglichkeiten sollen mir nicht im Weg stehen. Keine höhere Instanz kann mir verzeihen, nur ich selbst.
Ich muss mich zuerst vor mir selbst retten – das ist der Widerspruch, das Menschen-Dilemma.

Paul Watzlawick beschreibt in seiner wunderbaren „Anleitung zum Unglücklichsein“ einen grundlegenden menschlichen Denkfehler und das daraus resultierende Handeln mit  „mehr desselben“. Aber es gibt keine neue Lösung, wenn ich nicht neue Wege beschreite. (Watzlawick, 2009). Sisyphus, von dem hier schon die Rede war, hätte seinen Stein liegen lassen und sich einer besseren Tätigkeit zuwenden sollen.

Und so schließe ich mit den Empfehlungen von Leo Tolstoi vom Beginn des Epilogs und von Rainer Maria Rilke, mit dessen Worten dieser Essay begann.
Die einzige wirksame, aber so unerreichbare Empfehlung, die mich retten könnte:

„Du mußt dein Leben ändern“ (Rilke, 1908).

Anmerkung

Sollte in diesem Text eine Idee, ein Gedanke oder eine Geschichte formuliert sein, auf die Sie, werte Leserin/Leser/Andere, glauben oder wissen, einen originären Anspruch zu haben, melden Sie sich bei mir.

Ich werde Sie ins Literaturverzeichnis aufnehmen.

Hier geht es zur Einleitung

Hier geht es zu Kapitel I

Hier geht es zu Kapitel II

Hier geht es zu Kapitel III

Hier geht es zu Kapitel IV

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IV ) Klima und Naturschutz oder Braucht die Welt den Homo sapiens?

(Aktualisiert März 2025)

„Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen

Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen

Wie man schneller sägen konnte, und fuhren

Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen

Schüttelten die Köpfe beim Sägen und

sägten weiter.“

Bertold Brecht, 1898-1956

Die Antwort auf die Überschrift lautet: Nein!

Aber ich brauche die Welt, sie ist mein Ein und Alles, meine Existenzgrundlage. Eine alternative Zukunft auf dem Mars ist für die Menschheit bislang nur Science fiction verschrobener NERD’s.

Damit könnte dieses Kapitel abgeschlossen sein. Ich stelle mit Erstaunen fest, dass mein Handeln Auswirkungen auf die Umwelt hat: Außerordentliche und in keiner Weise positiv. Ich bin doch aber die Krone der Schöpfung? Hat nicht einer meiner Vorfahren den Mythos verbreitet, dass ich mir die Erde untertan machen soll?

Die bittere Wahrheit ist: Ich bin nicht Schöpfer, ich ein Mitgeschöpf.

Es stellt sich die Frage: Wem gehört die Welt? Oder gehört Allen alles gemeinsam?Manche Besitztümer sind vorbildlich gepflegt: Mein Vorgarten. Andere hingegen werden von allen benutzt und verwahrlosen: Autobahntoiletten .

Dafür gibt es eine wissenschaftliche Theorie: Die Tragik der Allmende. (Tragik der Allmende). Die Umwelt, die allen gehört – in dem Fall die Gemeindewiese – wird hemmungslos ausgebeutet. Weder an die Nachbarn noch an folgende Generationen wird gedacht. Ich verbrenne zum Beispiel fossile Brennstoffe und kümmere mich nicht um das Problem des steigenden CO2. Ich schürfe in immer größeren Tiefen nach Edelmetallen und seltenen Rohstoffen und hinterlasse verwüstete Landschaften. Ich sprenge ganze Berge und verwandle das Angesicht der Welt (Mountaintop Removal Mining).

Die Zerstörung des tropischen Regenwaldes hat 2024 einen neuen traurigen Rekord erreicht (World Resources Institute, 2025).

Was soll ich essen und trinken?

Mein existentielles Problem ist: Ich selbst kann keine Photosynthese. Ich bin also angewiesen auf eine Nahrungskette, an deren Spitze ich mich sehe und die ich nach Kräften vergifte und damit letztlich mich selbst (Colborn, 1996) (Carson, 1963).

Ich tue es wie nebenbei, es ist keine Absicht, es passiert einfach. Ich bin ein Gärtner in einem Garten, der trotz meiner Bemühungen, ihn zu verwüsten, bislang unentwegt Früchte getragen hat. Aber die fruchtbare Zeit neigt sich dem Ende zu. Die Selbstheilungskräfte des Gartens – der Natur – sind enorm, aber nicht unbegrenzt. Die Zahl der Ernten, die ich dem Boden noch entnehmen kann, ist überschaubar. Sie ist endlich. Ich bin auf das Vorhandensein und die Qualität meines Ackerbodens angewiesen, so wie auf die Luft zum Atmen. Meine intensive Bearbeitung und nicht zuletzt der Klimawandel schädigen das Ökosystem Boden (Schwinn, 2019) (taz 05,2018). Ein eigenes, mir weitgehend unbekanntes System anorganischer und organischer Bestandteile sowie unzähliger Mikroorganismen (Herrmann, 2018).

Auch das maritime Ökosystem ist vor mir nicht sicher. Seine Funktion und komplexes Zusammenspiel habe ich ebenfalls noch nicht ansatzweise verstanden habe. Meine Schleppnetze fangen wahllos Wildtiere, von denen ich nur einen Teil verwerte, den Rest bezeichne ich als Beifang und werfe ihn acht- und respektlos über Bord. Die gewaltigen Tiefseeschleppnetze zerstören auf Jahrzehnte den Meeresboden, über den sie gezogen werden. Niemand kontrolliert mein zerstörerisches Tun. Wenn ich ein – frei käufliches – Siegel vorweise, dann bin ich nachhaltig und alle sind zufrieden (Seaspiracy.org). Die Überreste meiner Netze und Leinen entsorge ich im Meer. Sie machen einen bedeutenden Teil des Plastikmülls aus, der die Meerestiere bedroht.

Ich produziere ständig neue, fast unzerstörbare Chemikalien, die sich in der Nahrungskette anreichern. Diese Substanzen erreichen damit zwangsläufig auch mich, irgendwann. Sie sind allgegenwärtig in meiner Umwelt. Manche wirken als endokrine Disruptoren und beeinflussen die Organogenese. Endokrinologische Fachgesellschaften und die WHO sehen es als erwiesen an, dass diese Chemikalien zur Entstehung von hormonsensitiven Krebserkrankungen, metabolischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Unfruchtbarkeit und neuronalen Entwicklungsstörungen beitragen. Ozeane – so wie die Atmosphäre – sind die größten Bereiche meiner Welt, die ich zwar nicht direkt bewohne, aber trotzdem direkt und indirekt für ihre Bewohner unbewohnbar mache, letztlich damit auch für mich (Geomar, 2018).

Lebensräume gehen verloren, unwiederbringlich, also: Räume für das Leben – mein Leben und das Leben der Pflanzen und Tiere um mich herum. So wie der Raum sich verändert, von mir verändert wird, bietet er dem Leben, also auch meinem Über-Leben, keine Zukunft und Zuflucht mehr.

Ich ignoriere die Tatsache, dass es eine Nahrungskette gibt, an deren Spitze ich zu stehen glaube. Wenn ich nun wissentlich oder unwissentlich diese Nahrungskette sabotiere, indem ich ihren Anfang zerstöre, mus ich mich nicht wundern, wenn Nahrung irgendwann knapp und teuer wird. Ich erlebe immer wieder katastrophale Hungersnöte auf der Erde. Zu einem Teil sind diese ‚einfach‘ einer ungerechten Verteilung von Lebensmitteln geschuldet. Und der vom Menschen gemachte Klimawandel wird zu einer deutlich wärmere Umwelt führen. „Eine wärmere Welt ist eine hungrigere Welt.“ (Kegel, 2021). Und eine hungrige Welt ist eine aggressive Welt (Hoimar von Ditfurth, 1988).

Neben der Versorgung mit Lebensmitteln ist und wird zunehmend die Versorgung der Menschheit mit Trinkwasser zum Problem werden. Mir ist bekannt, daß die Menge an Süßwasser auf dieser Welt begrenzt ist. (Worldbank.org, Unesco.org, The National Intelligence Council) Mache ich mir deshalb Sorgen? Kümmere ich mich darum, diesen Mangel, der in absehbarer Zukunft Millionen von Menschen betreffen wird, zu verhindern? Nein, tue ich nicht. Im Gegenteil: Getränkegrosskonzerne, wie Coca Cola pumpen Grundwasser fast umsonst in großem Stil, damit ich süße Brause trinke, fett und zuckersüchtig werde. Für die Herstellung von 1 kg Rindfleisch benötige ich ungefähr 15.000 l Wasser (Überwiegend Regenwasser) Hierdurch kann es bei intensiver Viehzucht je nach Weltregion zu Konkurrenzsituationen mit anderen Verbrauchern und zu Wasserstreß kommen.

Die großen Wasserspeicher, z.B. unter der Kornkammer der USA werden zunehmend entleert (Ogallala-Aquifer). Immer mehr Brunnen fördern das kostbare, aber begrenzte Element Süßwasser. Für meine fernen Nachfahren kann diese Zahl über das Überleben oder Nicht-Überleben entscheiden (ethz.ch). 

Klima und Wandel verleugnen?

Unsere so genannten Führungskräfte glauben immer noch, sie könnten mit der Physik und den Naturgesetzen verhandeln. Sie sprechen mit Blumen und Wäldern in der Sprache von US-Dollars und kurzfristiger Wirtschaftspolitik. Sie halten ihre Vierteljahresbilanzen hoch, um Wildtiere zu beeindrucken. Sie lesen den Meereswellen Börsenberichte vor wie Narren.“ (Thunberg, 2022).

Mein rabiates Eingreifen in die natürlichen Vorgänge und Regelkreise ist beispiellos brutal und beispiellos kurzsichtig. Millionen Jahre in der Erde gebundenes CO2 setze ich in Jahrzehnten frei und denke mir nichts dabei.

Das unablässig vorgetragene Mantra zur Bewältigung des vom Menschen-gemachten Klimawandel lautet: „Um die Klimaziele von Rio de Janeiro, Berlin, Genf, Kyoto, Buenes Aires, Bonn, Den Haag, Marrakesch, Neu-Delhi, Mailand, Nairobi, Bali, Posen, Kopenhagen, Cancun, Durban, Doha, Warschau, Lima, Paris, Marrakesch, Bonn, Katowice, Madrid, Glasgow, Scharm asch-Schaich, Dubai, Baku ff. einzuhalten, muss ich die Emissionen von CO2 drastisch reduzieren und CO2 aus der Atmosphäre entfernen.“ Denn mit jedem Zehntel Grad Erderwärmung treibe ich auf eine unbewohnbare Welt zu (Lynas, 2021).

Die ernüchternde und unumstrittene Wahrheit lautet ganz im Gegensatz dazu: Ich puste mehr und mehr CO2 in die Atmosphäre (Keeling Kurve) und ich habe bislang keine technisch einsetzbare, effiziente Technik zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre. Auch die unterirdischen Lagerstätten für das gesammelte CO2 sind bislang nur Theorie. Und dann sind da ja auch noch die anderen Treibhaus wirksamen Gase: Methan oder Lachgas zum Beispiel, die entfernt werden müssen. Ich nicht die geringste Ahnung, wie mir das gelingen soll (Global Carbon Projekt).

Ich lasse mir Gletschereis aus der Arktis mit einem immensen Aufwand an Energie liefern und konsumiere es als besonderes Geschmackserlebnis. Das Abschmelzen der Gletscher sollte mir große Sorgen machen. Nicht, weil ich bald kein Gletschereis mehr in meinem Whisky mischen kann. Es sollte mich beunruhigen, weil das strahlende Gesicht der Erde für immer verändert wird (Eis-Albedo-Rückkopplung).

Mir fehlt sowohl der Wille, die erforderlichen erneuerbaren Energien zu fördern. Ich möchte keine Windräder oder die erforderlichen Stromtrassen, beziehungsweise Stromspeicher, bauen. Noch will ich Energie einsparen. Im Gegenteil, ich finde täglich neue Möglichkeiten, mehr Energie zu verbrauchen (Kryptowährung, Cloud-Dienste, KI). Experten schätzen für KI Anwendungen in 2027 einen steigenden Verbauch von 134 Terawattstunden, das entspricht dem Energieverbrauch von ganz Schweden oder Norwegen. Auch der Verbrauch an Kühlwasser ist bei den oben genannten Anwendungen enorm und ein Problem für die weltweite Wasserwirtschaft. Das wiederum treibt den Klimawandel an und eine wärmere Welt benötigt mehr Energie (Int. Energieagentur, 2025)(Int. Energieagentur, 2024).

Kriege und das Militär sind eine gigantische Energie- und Ressourcenvergeudung (Klimakrise und globales Wettrüsten). Daraus entwickelt sich aber – was Sinn machen würde – keine weltweite Initiative gegen Krieg und Wettrüsten. Im Gegenteil, spätestens mit dem Angriff Rußlands auf die Ukraine hat ein beispielloses weltweites militärisches aber auch ideologisches Aufrüsten begonnen. Niemand will sich von der Siegerstraße vertreiben lassen (MEGA vs. MAGA). Es ist voraussehbar – ich kenne mich lange und gut genug – es wird einen erbitterten Kampf um die Verteilung der Ressourcen.

Noch dazu bin ich von der Komplexität der Klima- und Ökosysteme überfordert. Es gibt vielfältige Institutionen, die sich mit komplexen ökologischen Problemen beschäftigen und versuchen, diese der Öffentlichkeit bekannt zu machen und Lösungen zu erarbeiten (Sierra Club, 350.org, Bluegreen Alliance, Land Institut, Climate Transparency).

Eine Anzahl von Homo sapiens sapiens forscht über den Klimawandel (Geschichte der Klimaforschung). Diese Wissenschaftler*innen arbeiten an Lösungen für die menschengemachte Katastrophe. Mit fortschreitender Zeit wird eine Lösung aber immer schwieriger und die entstehenden Kosten steigen und steigen (Climate tipping points, Global-tipping-points.org). Die Kosten betreffen sowohl die Umgestaltung der aktuellen problematischen Energieversorgung, als auch die Folgen durch den Kimawandel verursachter Schäden. Aber leider ist eine größere Menge Homo sapiens sapiens dabei, den Klimawandel leugnen und ihn emsig voranzutreiben.

Ich denke und versuche mich damit zu beruhigen, dass die klimatischen Veränderungen nur langsam fortschreiten. Das mag so sein, und doch können einzelne Großschadensereignisse, die sich im Zuge des Wandels häufen, eine ganz neue unerfreuliche Dynamik in das Geschehen bringen. Wälder werden durch die steigenden Temperaturen geschwächt und durch meine verfehlte Waldbewirtschaftung (Monokulturen) anfällig gegenüber Klimaextremen, Sturmschäden, Feuer und Schädlingsbefall. Ein kranker Wald kann das umgebende lokale Klima nicht mehr positiv beeinflussen, den Wasserhaushalt langfristig sinnvoll regulieren und Biodiversität gewährleisten.

Weltweit brennen Wälder (Statista) in zunehmender Zahl und mit zunehmender Heftigkeit. Menschen sterben, Infrastruktur wird zerstört und riesige Areale von alten Waldbeständen werden vernichtet. Vorallem in Europa und Nordamerika ist dieser Trend deutlich (Spektrum.de, wwf.de). Dabei werden wiederum große Mengen an CO2 freigesetzt.

Ein sicheres Indiz dafür, dass es sich bei der Diskusion um die verheerenden Folgen des Klimawandels nicht um kleinliche akademische Streitereien handelt, mag ich an der Tatsache ablesen, dass die Versicherungswirtschaft im Blick auf die drohenden Schadensereignisse besorgt ist (Munic Re).

Ich sollte immer daran denken, dass ich nur diese eine Erde habe. All meiner technischen Fähigkeiten zum trotz bin ich nicht in der Lage, eine zweite Erde zu erschaffen. Und das würde auch gar nicht genügen, für Europa und den Bedarf von Nordamerika bräuchte ich mindestens noch eine weitere Erde.

Ich habe ganz vergessen, dass mein schönes Projekt Biosphäre 2 gescheitert ist. 1991 wurde in Arizona in den USA ein Gebäudekomplex erschaffen, der beweisen sollte, dass Homo sapiens sapiens ein sich selbst erhaltendes Ökosystem erschaffen und darin autark leben kann. Es hat aber nicht funktioniert. Das Experiment ist gescheitert. Nur zwei Jahre lang haben die acht Teilnehmer*innen in dem Gebäudekomplex vollständig abgeschottet gelebt. Dann mußte das Projekt zur Sicherheit der Insassen abgebrochen werden. Zu niedriger Sauerstoffgehalt, steigende CO2 Werte, Schädlingsbefall und Ernteausfälle waren nicht zu beherrschende Probleme. Von der zunehmend aggressiven Stimmung unter den menschlichen Bewohnern der Biosphäre und der Frage der Finanzierung ganz zu schweigen. Das Gebäude wird heute von der University of Arizona für wissenschaftliche Forschung und als Ausstellungsgelände genutzt (Seidler, 2019) (biosphere2.org).

Der Versuch der Biosphäre 2 hat eine bedenkenswerte Analogie in Bezug auf die Biosphäre 1, unsere real existierenden einzigen Erde: Die unerwünschte Vermehrung von Kleinstlebewesen. Viren und Bakterien werden uns auch in Zukunft existentiell bedrohen.

Aber auch wir Großen vermehren uns unangemessen schnell. Bald werden wir möglicherweise 10 Milliarden Menschen sein (Emmot, 2014). Bei Rattenpopulationen, die in einem definierten Gehege gehalten werden, mit allem versorgt, was sie brauchen, schlägt aufgrund der zunehmenden Zahl an Individuen, das friedliche Zusammenleben irgendwann in Stress und Aggression um (Kolbert, 2024). Das ist bei Homo sapiens sapiens vermutlich nicht anders.

Für Vielfalt Sorge tragen?

Bis heute ist es mir nicht gelungen, eine allgemein gültige Ethik im Umgang mit der Natur zu entwickeln, geschweige denn danach zu leben. Das fängt damit an, dass ich es strikt ablehne, ein Teil der Natur zu sein. Die Natur ist mir fremd, mein Angstgegner, mein nächtlicher Alptraum, den es zu besiegen und zu unterwerfen gilt. Wenn ich glaube, mit meiner Wissenschaft einen winzigen Bruchteil der Natur entschlüsselt zu haben, bin ich furchtbar stolz. Dann habe ich das sichere Gefühl, selbst der Schöpfer zu sein. Aber es gibt eine Ordnung oder auch Intelligenz, durch die alles geformt wurde und wird und deren Zusammenhänge, Ziele und Pläne mir völlig unbegreiflich sind.

Ich will nur ungern zugeben, dass auch meine tierischen Mitgeschöpfe eine Individualität, eine persönliche Intelligenz, Gefühle, wie Angst, Trauer oder Freude haben (Safina, 2017). Denn dann könnte ich einen lebenden Hummer nicht mehr in kochendes Wasser werfen oder könnte Tintenfische nicht an der Luft oder im Eis langsam ersticken lassen. Dann würde ich beim Nachdenken über Massentierhaltung in Tränen ausbrechen. Dann würde ich meine Milchkühe nicht mit ‚poultry litter‚ füttern, also also mit den Resten, die ich aus dem Geflügelstall auskehre: Kot, Streu, Futterreste, Federn.

Ich aber wähne mich als über der Natur stehend. Ich habe mir einen Gott geschaffen, der mich über meine Mitgeschöpfe erhebt. Und wer ethische Wertschätzung und Beachtung verdient, das entscheide ich, ich allein.

Ist aber der Homo sapiens sapiens wirklich der entscheidende ethische Maßstab? Oder sind es auch auch Tiere, Pflanzen oder unbelebte Materie: Ein Berg, ein Ozean? Vielleicht verdient der ganze Planet Erde und der Kosmos ethische Wertschätzung (Gorke, 2019).

Wenn ich in solchen Dimensionen denken soll, wird mir ganz schwindelig. Ich fühle mich ganz winzig und unbedeutend. Das kann ich nicht akzeptieren. Ich verweigere mich dieser Erkenntnis. Ich sollte akzeptieren, dass ich nur der vorläufige Endpunkt einer evolutionären Reihe bin. Die Evolution nach den Erkenntnissen von Wallace und Darwin halten auch heute noch viele Homo sapiens sapiens für nicht bewiesen. Sie glauben lieber an das intelligente Design eines göttlichen Schöpfers (natürlich männlich!), dem mit der Erschaffung des Homo sapiens sapiens sein Geniestreich gelungen ist (Kreationismus).

Die Evolution vollzieht sich in Milliarden von Jahren. Das Handeln von Homo sapiens sapiens und Kollegen in lächerlichen Zehntausenden von Jahren. Das ist ein krasses Missverhältnis. Und es wird noch sehr viel deutlicher bei meinem persönlichen Erleben. Mein subjektives Dasein ist auf die Gegenwart begrenzt. Meine Mitgeschöpfe, die bedrohten Arten, die mit mir leben, können nicht erwarten, dass ich auf ihre Belange Rücksicht nehme. Ich kenne ihre Belange gar nicht. Wie soll ich dann Rücksicht nehmen? Relativ gleichgültig beobachte ich den rapiden Rückgang der Biodiversität.

Ich bin der Verursacher des sechsten großen Artensterbens (Kolbert, 2016). Ich mache den globalen Totengräber. Das ist eine Tatsache und dieses globale Endzeitereignis wird auch mich betreffen. Als Individuum werde ich aber nicht alt genug, um in den zeitlichen Dimensionen dieser Welt und der Natur zu denken. Und die Erfahrungen vergangener Epochen und versunkener Zivilisationen sind mir allenfalls bruchstükhaft zugänglich (Gräber, Wengrow, 2022).

Ich reduziere durch mein Handeln direkt und auch indirekt die Biodiversität der Welt. Ich erschaffe riesige Monopopulationen von Lebewesen, die meinem wirtschaftlichen Streben den größten Nutzen bringen. Damit mache ich mich in unvernünftigerweise Art und Weise vom Überleben und Wohlergehen weniger Tier- und Pflanzenarten abhängig. Meine Mitgeschöpfe sehe ich primär als Wirtschaftsgüter, die es gewinnbringend zu verwerten gilt. Sie sind mein Besitz. Ich fragmentiere und beute den Planeten aus. Allein durch die Fragmentation zerstöre ich die Funktionalität der Ökosysteme (Wissenschaft.de, cordis.europa.eu).

Wunderbar und bequem lebe ich in meiner ersten Welt und Wegwerfgesellschaft. Die langfristigen Kosten meines Verhaltens könnte ich berechnen, aber wozu sollte ich das tun? Ändern möchte ich es nicht, ich kann es gar nicht. Keiner, wirklich keiner, am allerwenigsten ich, will den Gedanken aussprechen:

Wir können nicht so weitermachen. Aber wir werden es tun.

„Was soll ich denn für die Nachwelt tun, die hat ja auch für mich nichts getan.“ (Fischer, 2011).

Um das Wohlergehen meiner Kinder kümmere ich mich, aber schon das Wohlergehen meiner Enkelkinder übersteigt schon meine Kräfte. Das Wohlergehen künftiger Generationen ist mir völlig gleichgültig. Noch weniger kümmere ich mich um das Wohlergehen von Millionen Homo sapiens sapiens auf anderen Kontinenten. Jahrzehnt um Jahrzehnt sehe ich Bilder von kranken und hungernden Menschen in fernen Ländern. Bevorzugt zu Feiertagen und bei besonders schrecklichen Katastrophen schicke ich eine Spende. Den Rest des Jahres halte ich mir das Leid dieser Menschen so gut es geht vom Leib. Und meine Methoden werden dazu werden immer brutaler, die Grenzen, Zäune und Mauern immer höher (Brown, 2018).

Wofür das Alles?

Ich lasse mich permanent unter Druck setzen, jederzeit alles kaufen zu können. Der Online-Handel verführt mich mit einem Klick. Und ich lasse es zu. Ich bin süchtig, im Kaufrausch. Der Konsum wird als Motor der Wirtschaft verstanden. Es gibt die unausgesprochene Grundannahme, dass steigende Wirtschaftsleistung positiv sei (Fraser, 2023). Und prosperieren kann die Wirtschaft nur, wenn ich mich brav im Hamsterrad des Konsums bewege. Meiner vielen „Spielsachen“ werde ich bald überdrüssig und werfe sie weg (Klein, 2016).

Wer glaubt, exponentielles Wachstum könne in einer endlichen Welt unendlich weitergehen, ist entweder wahnsinnig oder Ökonom.“ (Kenneth E. Boulding). Unser Wirtschaftssystem ist ein Kettenbrief. Ich kann nur hoffen, dass zu meinen Lebzeiten die Kette nicht reißt.

Erschrocken und ungläubig sehe ich von der ersten Welt aus, wie meine Mitmenschen in den Kontinenten des globalen Südens mit einfachsten Mittel, mit Feuer und bloßen Händen meinen Elektromüll recyclen. Weil das ihr Überleben sichert. Dieser Ort in der Millionenstadt Accra in Ghana hat einen Namen: Sodom oder „toxic city“ (Welcome to Sodom).

Passt das mit einem sorgsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen zusammen?  Sorry, keine Zeit: Ich muss shoppen, streamen, tindern, facebooken, tweeten, liken, googlen. Irgendwann werde ich als Avatar im Metaversum einkaufen gehen und nicht existente Dinge erwerben. Mich umgibt ein Kosmos von Ablenkungen, die ich nur zu gern ergreife: Mein globales ADHS.

Eigentlich weiß ich, dass ab einem bestimmten Niveau wachsender Wohlstand nicht glücklicher macht. (Easterlin Paradox). Wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, kann mein Wohlbefinden durch zusätzliche Konsumgütern nicht mehr gsteigert werden. Im Gegenteil: Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem zusätzlicher Besitz nur Sorgen, aber keine Freude macht. Deshalb habe ich darüber geforscht, wie Wohlstand und sozialer Fortschritt gemeinsam erreicht werden könnten (Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission). Aber die Empfehlungen wurden nicht beachtet. Vernunft sieht anders aus.

Es gibt eine eindeutige Korrelation zwischen der Wirtschaftsleistung und der Kohlendioxidemission. Und wenn ich Wirtschaftswachstum für dringend erforderlich halte, sozusagen als Grundlage der Weltgesundheit, dann sollte ich mich dringend wenigstens um alternative, erneuerbare Energien bemühen. Der wachsende Energieverbrauch muß befriedigt werden, sonst gehen mir irgendwann die Lichter aus. ( Holler, Gaukel, Lesch, 2021).

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich heimlich und nahezu unbemerkt eine besonders bösartige Variante des Kapitalismus etabliert: Der Neoliberalismus. Er schöpft seine destruktive Kraft aus sozialen Umwälzungen und politischer Instabilität. Er fördert diese aktiv und erzeugt bei mir Angst und Verunsicherung. In Zeiten der Unsicherheit bin ich sogar bereit auf Menschenrechte, wie Meinungsfreiheit, zu verzichten (Klein,2023). Es ist die Zeit der Populisten, der Dealmaker.

An einer zukunftsorientierten Politik, die Umwelt, Biodiversität und Wohlergehen künftiger Generationen fördert, besteht keinerlei Interesse. Es ist eine toxische Beziehung zwischen der fossil-postkolonialistischen-patriachalischen Ausbeutung der Welt durch den globalen Norden und dem rapide fortschreitenden Klimawandel (Otto, 2023). Im kapitalistischen und extraktvistischen System werde ich für den Umweltschutz und Klimawandel niemals eine langfristige und stabile Lösung finden. (Fraser, 2023). Denn technische Lösungen allein, sind nicht der heilige Gral (Rösch, 2019).

Die Macht sei mit dir“ ist ein sinnleerer, pseudo-mysthischer Spruch aus einer futuristischen Heldensaga. Ich glaube weiter fest daran, dass die Welt mich braucht, um sie besser zu machen.

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English Summary

III ) Evolution der Gewalt oder Wer hat die Macht?

English summary

(Aktualisiert August 2025)

Die gesamte Geschichte, unabhängig von Zeit und Ort, durch zieht das Phänomen, dass Regierungen und Regierende eine Politik betreiben, die den eigenen Interessen zuwiderläuft. In der Regierungskunst, so scheint es, bleiben die Leistungen der Menschheit weit hinter dem zurück, was sie auf fast allen anderen Gebieten vollbracht hat.

Barbara Tuchmann, 1912-1989

Der Krieg ist bloß eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Carl von Clausewitz, 1780 – 1831

Es gibt eine unaufhaltsame und erschreckende Evolution der Krieges. Viel zu oft hat sich der vermeintlich Stärkere mit brutaler Waffengewalt durchgesetzt und nur Schutt, Asche und Berge von Leid sind geblieben.

Der Philosoph Heraklit bezeichnet den Krieg als „Vater aller Dinge„. Das ist insofern richtig, als Gewalt sicherlich nicht die Mutter aller Dinge ist. Die Annahme, dass Kriege und Naturkatastrophen wirtschaftlich positive Auswirkungen haben können, erweist sich als Illusion (Parabel vom zerbrochenen Fenster).

Krieg

Im Februar 2022 hat der russische Präsident Putin die Ukraine angegriffen. Die Auswirkungen durch diesen Akt der Aggression werden die europäische Zukunft in eine neue und mutmaßlich unerfreuliche Richtung lenken. Es soll dabei nicht vergessen werden, welchen Anteil an dieser Entwicklung die falschen politischen Entscheidungen der USA und der NATO hatten (Sarotte, 2024). Die Verzweiflung, und der anwachsende Hass auf beiden Seiten der Front werden Europa auf Jahrhunderte vergiften. Die willentliche Zerstörung des Kachowka-Staudamm durch die russischen Besetzertruppen in der Nacht zum 06.06.2023 verändert über Jahrzehnte das Erscheinungsbild und die Ökosysteme im Süden der Ukraine. Der schnelle Sieg, den sich Putin versprochen hat, wurde nicht erreicht. Die Situation gleicht eher der von Verdun im großen Krieg von 1914-18. Außer, dass heute große Mengen von russischen Mörder-Drohnen unterwegs sind, um in Wohngebieten, Schulen und Krankenhäusern Angst und Schrecken zu verbreiten.

Im Juli 2024 wurde bekannt, dass amerikanische Raketensysteme ab 2026 wieder in Deutschland stationiert werden sollen. Der Krieg wird wieder kälter. Die Diplomatie hüstelt und … schweigt.

Im Oktober 2023 überfallen tollwütige Hamas-Kämpfer aus dem Gazastreifen angrenzende Siedlungen in Israel, unter anderem ein Musikfestival. Unschuldige Israelis werden angegriffen, vergewaltigt, verschleppt, getötet. Es ist verständlich, dass der Staat Israel Vergeltung im Gazastreifen übt. Aber die erschreckenden Opferzahlen unter der Bevölkerung in Gaza lassen Zweifel aufkommen, ob es sich hier noch um das alttestamentarische Auge-um-Auge Prinzip handelt, sondern um eine aus dem Ruder laufende militärische Mordmission (Statista, 2024).

Im Juni 2025 bombadiert Israel mit Billigung und militärischer Unterstützung der USA den Iran und gießt weiteres Öl ins Feuer. Das Argument der Notwehr wegen des drohenden Einsatzes der Atombombe durch den Iran erinnert an die Begründungen für den Irak Krieg durch die USA. Das Leid der Menschen im Gazastreifen gerät kurz aus dem Blickfeld.

Die Leidtragenden sind vor allem Zivilpersonen.

In der Evolution der kriegerischen Konflikte weltweit hat sich das Verhältnis zwischen getöteten Soldaten vs. Zivilisten in diesem Jahrtausend zu Ungunsten der Zivilisten verschoben (8:1 heute 1:8). Nicht der Kampf der Soldaten gegeneinander verbreitet den meisten Schrecken, sondern der überraschende Einsatz von Streubomben und Killerdrohnen gegen Wohnblocks und Einkaufscenter. Der Gegner soll demoralisiert werden. So wurde es auch beim Einsatz von Napalm im Vietnamkrieg (1955–1975) begründet. Mein moralisches Empfinden ist im Krieg ausgeschaltet. Niemals käme ich in Friedenszeiten auf die Idee, mit einer Chemikalie, wie Agent orange, Wälder zu entlauben.  

Wie immer sind die Begründungen für die Aggression lächerlich und vorgeschoben. Oft wird ein göttlicher Wille als Rechtfertigung angeführt.
Warum gebe ich nicht zu, ein Monster zu sein?
Kein Gott befiehlt mir, kein Gott verhindert es.

Ich sehe verzweifelt auf die unendliche Historie der Testosteron getriebenen Männer.  Wo sind die Sanftmütigen geblieben?  Wurden sie alle gekreuzigt, erschossen, erschlagen, ertränkt und damit final aus dem Genpool entfernt? Gab es sie überhaupt? In der unüberschaubaren Aufeinanderfolge von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen (ALCED, UCDP) sind fast ausschließlich Männer als Täter beteiligt – nicht nur alte weiße Männer – sondern Männer auf allen Kontinenten, alte und junge Männer. Soldaten mit regulären Uniformen, Partisanen, Freiheitskämpfer und Terrormilizen wie zum Beispiel Boko-Haram, IS, M23 unter dem Befehl von religiösen Fanatikern und Warlords (Charles Taylor, Mohamed Farrah Aidid). Und natürlich Autokraten, für die das Militär wichtiger ist, als Lebensmittel für das eigene Volk (Kim Jong-Un).

Wenn ein Mensch besonders grausam handelt, dann spreche ich vom „Tier im Menschen“. Wohl wissend, dass kein Tier ist zu einer derartigen Quälerei seiner Mitgeschöpfe in der Lage ist (Dostojevski 1880).

Der Krieg ist in die Gene der Menschheit eingeschrieben – er hat seine eigene Evolution (Azar Gat, 2008). Ich bin unglaublich kreativ bei der Erfindung von Waffensystemen (Latiff, 2018). Und ich finde einen Grund, warum ich selbst meinen Bruder umbringen muss. In der Schöpfungsgeschichte steht zu Beginn der Brudermord. Das Motiv für diesen ersten Mord der Menschheit war eine Kränkung – und dieses Motiv zieht sich mit erschreckender Konstanz durch die Menschheitsgeschichte: Der gekränkte Mann tötet.

Panzer und Kanonen ragen wie Dauererektionen in den Himmel und spritzen Tod und Verderben in die Welt. Und die Interkontinentalrakete – ein monströser metallischer Phallus – in den unterirdischen Abschuß-Silos der Weltmächte -wartet darauf, die Zivilisation auszulöschen. Killerdrohnen, die fliegenden ferngelenkten Monster, können jeden von uns erreichen. Das Bedienpersonal, in angenehm klimatisierten Räumen, sitzt mit einem Joy-Stick in der Hand und wartet auf Befehle. Mit diesem „Freuden-Knüppel“ wird aus sicherer Entfernung getötet – fast wie in einem Videospiel und mit KI Unterstützung (Gaza Krieg)

Beispiele für meine Gewalttätigkeit gibt es unzählige. Wenn ich mir eingestehen würde, wozu ich fähig bin – das wäre die größte Kränkung der „Männer-Menschheit“ – man-kind.

Welches Entsetzen habe ich erzeugt, als ich die chancenlosen Ureinwohner von Nord- und Südamerika mit Schusswaffen überwältigt und niedergemetzelt habe. Ganz nebenbei habe ich die indigenen Völker mit den Krankheiten dezimiert, die ich aus der alten Welt mitgebracht habe. Nicht zu vergessen, dass ich sie mit der verheerendsten aller Drogen bekannt gemacht habe – dem Alkohol.

Im Ersten Weltkrieg habe ich damit begonnen, Giftgas gegen feindliche Soldaten einzusetzen, die davon völlig überrascht wurden. Welches Entsetzen muss in den Schützengräben geherrscht haben? Ich denke an die verstörenden Bilder von Verdun nach dem Ende der Beschießung.

Eine besonders gewalttätige Epoche war das „Dritte Reich“, das sogenannte „Das Reich der Vernichtung“. (Kay, 2022). Nicht wenige sehnen sich heute in alte Zeiten zurück und leugnen oder verharmlosen die unmenschlichen Verbrechen (Angrick, 2022) in den grauenhaften Fabriken des Todes und in den besetzten Ländern (Schuldkult).

Niemals dürfen wir zulassen, diese Verbrechen an der Menschlichkeit, begangen durch SS, Polizei und Wehrmacht vergessen werden.

Am 16.07.1945 um 05:29 wurde in Los Alamos in den USA der erste Plutonium-Bombentest durchgeführt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob die folgende Kettenreaktion endet oder der in der Luft enthaltene Sauerstoff eine globale Reaktion auslöst und die gesamte Menschheit vernichtet. Das hat mich aber nicht abgehalten. Als das Prinzip der neuen Technik erfunden war und die Uran-(Little Boy) und die Plutonium (Fat man)-Technik verglichen werden sollte, habe ich, in vollem Bewußtsein meines Irrsinns, einen monströsen Feldversuch durchgeführt. Innerhalb der ersten Stunden starben 100.000 Menschen in den beiden Städten. Die Opfer waren auch Zwangsarbeiter aus Korea, China und Taiwan.

Vor 80 Jahren habe ich den atomaren Teufel von der Kette gelassen. (IPPNW.DE)

Die Rüstungsausgaben der Welt steigen unaufhörlich (Rüstungsausgaben in Zeiten des Ukraine Krieges). Das hat mit dem Keulen-Paradoxon zu tun. Da ich mir nicht sicher bin, ob ich die größte Keule schwinge, um meine Interessen durchsetzen, rüste ich pausenlos auf. Das sieht mein Nachbar und tut Gleiches. Mein Bestreben, größere Sicherheit zu erlangen, erreicht also genau das Gegenteil. Gegen meine Savanneninstinkte kann ich aber nichts tun. Außerdem gibt es nicht wenige Menschen, die damit viel Geld verdienen.

Für Verständigung braucht es zwei Parteien, für Aggression genügt eine. Der Naturzustand von Thomas Hobbes ist nur scheinbar überwunden. (Hobbes, 1651) – Es heißt: Alle gegen Alle und Aggression kann nur durch Aggression beantwortet werden. Aber ist das wirklich der einzige, der richtige Weg? Ich nenne es Gleichgewicht des Schreckens und bin ernsthaft von der Richtigkeit dieses (männlichen) Handelns überzeugt. Die Zeit bis zum Untergang läuft ab (Doomsday Clock, 2025).

Mein grundlegender Denkfehler ist: Wenn ich keine Gewalt ausüben kann, dann habe ich keine Macht. Aber das ist falsch, wie schon Hannah Arendt 1970 ausführte. Macht entsteht nicht dadurch, dass ich eine Keule schwinge oder Maschinengewehre auf Demonstranten richte. Das ist im Gegenteil ein Zeichen meines Macht Verlustes, den ich mit kompensatorischer Härte zu verhindern suche (Arendt, 1970).

Die, angesichts der globalen Probleme, dringend notwendige Zusammenarbeit der Weltgemeinschaft ist eine ferne Illusion.

Krieg kennt keine Gewinner, diese Wahrheit will ich nicht begreifen.

Geld, Energie, Ressourcen aller Art werden in verantwortungsloser und unwiederbringlicher Art und Weise für den Bau und die Unterhaltung immer neuer Waffensysteme verbraucht. Diese Ressourcen fehlen mir für wichtige, dringend notwendige Unternehmungen – zum Beispiel die Bekämpfung des Klimawandel.

Das Militär ist weltweit einer der größten Emittenten von CO2. Die Umweltbelastung allein durch den militärischen Fuhrpark und die Flugzeuge sind enorm (The military emissions GAP). Gleichzeitig sorgt sich das USA Verteidigungsministerium um eine sich möglicherweise rasch verändernde geopolitische Lage – angesichts der Klimakatastrophe. Es betreibt Analysen, um auch bei Wetterkastatrophen, Epidemien, Flüchtlingswellen und Zerfall der staatlichen Ordnung kampf- und siegbereit zu bleiben. Im Verteidigungsministerium der USA wird der Klimawandel ernst genommen (Risikoanalyse des DoD von 2021).

Die Altlasten vergangener Kriege liegen als Landminen im Boden und zerfetzen die Menschen, die den Boden ahnungslos bearbeiten wollen (taz 02,2025). Die umkämpften Gebiete der Ukraine werden gerade im Moment wieder ausgiebig vermint. Die Bomben des 2. Weltkrieg machen in Deutschland Probleme. (Berlin, 2022)(Dresden, 2025) Jährlich müssen 5000 Blindgänger entschärft werden. Geschätzt liegen noch 100.000 – 300.000 Tonnen im Boden versteckt. Kriegsmaterial liegt auch am Boden der Ozeane, verrottet dort und vernichtet unaufhaltsam Stück für Stück maritimes Leben. Die Kosten für all das habe ich nie berechnet, kann ich gar nicht berechnen. (UBA, 2023, taz Artikel 05 2024, Le monde diplomatique 2024).

Krieg und Wirtschaft

Es tobt der Kampf der neoliberalen Wirtschaftsordnung – Ich kämpfe auf dem Parkett des Börsenhandels und in den Etagen der Investmentbanken. Ich kämpfe auf den internationalen Märkten um Gewinne, Einfluß und Macht. Es werden Wirtschaftskriege geführt, die den Gegner zwingen sollen, meine Bedingungen zu erfüllen. Freihandelsabkommen werden geschlossen, um gegenüber dritten Parteien im Vorteil zu sein. Zölle werden verhängt, um die eigene Wirtschaft zu schützen. Darauf reagieren die Handelspartner mit Gegenzöllen. Eine Partnerschaft sind anders aus.

Es ist die Zeit der Dealmaker und auch der Lobbyisten. Waffenhändler haben Hochkonjunktur. Auch für Länder, die sich als Demokratien und als fortschrittlich verstehen, ist es sehr ein lukratives Geschäft, Waffen zu verkaufen. Waffen werden in Krisengebiete geliefert, zur Verteidigung, zum Angriff oder um sie weiter zu verkaufen.
Die Börsenkurse für Rüstungsunternehmen nach 3 Jahren Krieg in der Ukraine entwickeln sich prächtig. Ob die Lobbyisten bei Bestechungen der verantwortlichen Politiker auffliegen oder nicht – ob es Gesetze zur Begrenzung des Rüstungshandels gibt oder nicht – es gibt immer ein Schlupfloch für meine zerstörerischen Waffenverkäufe. Und Waffen zerstören, daran besteht kein Zweifel – außer bei Hardlinern wie der National Rifle Association in den USA.

Wenn der Staat seine Schutzfunktion nicht mehr gewährleisten kann, bewaffnen sich die BürgerInnen und suchen Schutz durch die eigene Waffe. In den USA ist der freie Homo sapiens sapiens stolz darauf, Waffen tragen zu dürfen. Dies ist ein Zusatzartikel der Verfassung – im Gegensatz zur Gleichberechtigung der Frau. Allerdings resultiert aus der Menge an Waffen in Wahrheit keine größere Sicherheit. Die Anzahl der durch Schusswaffen verursachten Tötungs- und Verletzungsdelikte nimmt kontinuierlich zu (Gun violence archiv).

Waffen jeder Art zerstören nicht nur Vertrauen und Glaubwürdigkeit unter einander, sondern auch ökologische Gleichgewichte und beeinträchtigen somit die körperliche Unversehrtheit von Menschen.

Ich kann nur hoffen, dass in den Ländern, in denen meine Waffen zum Einsatz kommen, die Anzahl der Überlebenden gering ist. Sonst machen sie sich irgendwann auf den Weg – flüchten, weil sie keine andere Möglichkeit haben – und zerstören die Stabilität meiner heilen Welt. Keine noch so hohen Mauern und Zäune werden helfen. Wenn die Anzahl zerstörter, dysfunktionaler Länder und Staaten wächst, werden mit Sicherheit Millionen Menschen flüchten müssen. Verzweifelt bin ich schon heute dabei, meine Besitztümer abzusichern (Frontex).

Die Verteilung in meiner Welt ist zynisch: Die einen verdienen, die anderen sterben. Die Mehrheit verliert – eine Minderheit wird reich.

Ich bin mir sicher, dass der Kampf um die endlichen Ressourcen dieser Welt angesichts der fortschreitenden ökonomischen und ökologischen Ungleichgewichte noch nicht einmal begonnen hat und sich noch verschärfen wird. Der Kampf um Wasser, um Land oder Bodenschätze, um Energie, kurz gesagt, um Einflussnahme in dieser Welt wird mit militärischen Mitteln und mit zunehmender Härte geführt.

Ich will es nicht wahrhaben – aber meine Aggression wird uns umbringen.

Ich nehme schon heute billigend in Kauf: Die Vertreibung von Menschen, den Tod von Bootsflüchtlingen und die unwürdigen Zustände in Flüchtlingslagern. Als Provisorien gedacht, werden sie bald zu einer Dauerlösung. Dort entsteht neuer Hass und Gewalt. Auch die Idee, Flüchtlinge ungefragt und ohne Verfahren in afrikanische Länder (Ruanda) abzuschieben, zeigt meine Hilflosigkeit mit der Krise umzugehen. Der Wahlkampf 2025 wird von der Diskussion über Migration beherrscht (Tagesschau, 01 2025). Dabei sollte ich vielmehr über den fanatischen Islamismus diskutieren, seine Ursachen und seine Bekämpfung.

Kriege und Krisen verursachen Armut, die neben Flucht zu Prostitution, Sklaverei oder der Zwangsverpflichtung durch skrupellose Organisationen führt. Dies führt zu einer Radikalisierung, die durch Hass und Verzweiflung begründet ist. Ein weiteres Resultat von Krisen sind Sklavenarmeen, die wiederum zu vermehrter Gewalt führen.

Neben dem Universum der Armut existiert das dunkle Universum von weltweitem Drogen-, Waffen- und Menschenhandel; von Geldwäsche, Korruption, Cyber-Kriminalität und Umweltverbrechen (BKA 2024Tagesschau 2024). Es ist eine Schattenwirtschaft des Bösen – und sie floriert. Wenn staatliche Handlungsfähigkeit aufgrund einer libertären und populistischen Ideologie eingeschränkt wird, kommt es zwangsläufig zu einer Expansion der internationalen Kriminalität, bei der hohe Gewinne auf Kosten von Leib und Leben Unschuldiger erzielt werden. Den gleichen Effekt hat es, wenn Länder in Dysfunktionalität versinken und die Regierung/Verwaltung ihre Aufgaben nicht mehr wahrnimmt (Failed state).

Krieg und Propaganda

Ich bin von einer mitreißenden Rede so begeistert, dass ich gar nicht verstehe, worum es eigentlich geht. Mir fallen die Widersprüche, die falschen „Fakten“ und die subtile Beeinflussung nicht auf. Ich begreife nicht, dass der Redner einen bösen und eigennützigen Plan verfolgt.

Brüllt der Redner: „Willst du den totalen Krieg?‘“ dann bin ich begeistert und antworte: „Ja!‘“ So etwas kann nur passieren, wenn das eigene Denken, die eigene moralische Empfindung ausgeschaltet ist. So handelt nur jemand, der das Elend nach der Katastrophe nicht aufräumen muss. Jemand, der seine eigenen Kinder im Angesicht des Scheiterns vergiftet und sich dann erschießt. (Magda Goebbels). Die deutschen Nationalsozialisten waren keine Aliens, die über das Land kamen und es verwüstet haben. Sie haben sich auch nicht in Raumschiffen nach der Katastrophe davongestohlen. Sie waren Du und Ich, Nachbarn und Freunde. Hinterher hat es niemand gewollt oder gewusst.

Beispiele für verheerende Propaganda gibt es viele. Es sind schreckliche Erzählungen des irregeleiteten menschlichen Handelns; Erzählungen von der naturgegebenen Überlegenheit des Einen gegenüber dem Anderen, die alle letztlich zum Untergang, zum Krieg, zum Genozid geführt haben. Es ist der Mythos von der überlegenen Rasse. Wann wird mir bewußt, dass es unterschiedliche Rassen nicht gibt? Es gibt Ethnien, Bevölkerungsgruppen – kurz es gibt menschliche Vielfalt. Und eine Herrenrasse gibt schon gar nicht.

Das Problem ist die unglaubliche Menge an Informationen, an Meinungen und unterschiedlichsten Kanälen, die mich ständig erreichen und die um meine Aufmerksamkeit kämpfen. Ich ersticke nicht nur im Plastikmüll, sondern auch im Informationsmüll. Alle drängeln sich vor, in Podcasts, in Videos, in Kurzmitteilungen mit oder ohne die Unterstützung von ChatGPT und Kollegen. Alle wollen mir die Welt erklären – dabei haben sie nicht immer gute Absichten.

Wenn es um komplizierte Zusammenhänge geht, werden sie oft in unzulässiger Weise vereinfacht. Ich habe leider keine Zeit oder Lust, mich mit den Details zu befassen, und verlasse mich auf die Zusammenfassung, auf das Schwarz und Weiß. Wird meine Meinung bestätigt, um so besser. Es geht nicht um Fakten, es geht nur um Emotionen. Das weiß ich, das wissen alle anderen auch. Insbesondere der Homo politicus, der mich regiert, den ich mich regieren lasse, ist sich dieser Tatsache bewußt. Er arbeitet damit. Meine altehrwürdige Savannen-Programmierung ist fasziniert von dem großen (An)Führer, der mich an die Hand nimmt und sicher durch den Dschungel führt.

Die Debatten werden zunehmend hektisch in einem schrillen Ton geführt. So, als wollten wir zum Ausdruck bringen: „Ich bin nicht deiner Meinung, egal welche sie auch sein mag, werde nicht dafür eintreten, dass du sie sagen darfst, sondern werde dich einschüchtern und notfalls gewaltsam am Reden hindern.“

Es handelt sich also um die radikale Umkehrung des bekannten Zitates: „Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“ Dieses Zitat, welches Voltaire zugeschrieben wird, stammt in Wirklichkeit von einer Biographin von Voltaire, von Evelyn Beatrice Hall, die damit Voltaires Gedanken zusammenfassen wollte.

Beschimpfungen und die Androhung von Gewalt und Tod sind die neue Normalität, sind zu scheinbar ’normalen‘ Umgangsformen geworden. Wer sich in diesem lauten und brutalen Wettbewerb um die Deutungshoheit nicht behaupten kann, wird niedergeschrien. Schließlich verstummt die letzte Stimme, die zur Vernunft mahnt und zur Rücksichtnahme.

Ich will einfach nicht begreifen, dass weder eine Einzelmeinung, noch die Meinung einer Gruppe hilfreich ist. Zur Bewältigung der globalen Probleme braucht es eine globale Intelligenz – gefolgt von globalem Handeln.   

Das Problem ist: Die globale Intelligenz gibt es nicht.  Schwarmintelligenz ist beim Homo sapiens sapiens in Wirklichkeit eine Form der Schwarmdummheit.

Krieg und Frauen

Deshalb wird innerhalb der Menschheit der höchste Rang nicht dem Geschlecht zuerkannt, das gebiert, sondern dem, das tötet.“ (Beauvoir, 1949)

Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Krieg eine Schöpfung der männlichen Natur ist, mir in vieler Hinsicht unbegreiflich.“ (Alexijewitsch, 2016)

Krieg ist eine männliche Heldentat. Obwohl Krieg tötet, verstümmelt, verängstigt, also eine unaussprechliche Bedrohung des menschlichen Lebens ist. Männer töten Männer, Frauen und Kinder. Ist dem Mann das Leben nichts wert?

Der männliche Homo sapiens sapiens ist vergleichsweise kurz an der Entstehung neuen Lebens beteiligt – meist lustvoll. Im Gegensatz dazu hat die weibliche Homo sapiens sapiens nach der Zeugung 9 Monate Streß vor sich. Unwohlsein, Schmerzen und Ängste, eine Umstellung des Hormonhaushalts und schließlich eine nicht ungefährliche und höchst schmerzhafte Geburt.  Die Risiken einer Schwangerschaft sowohl für die werdende Mutter als auch für das Kind sind beim Homo sapiens sapiens nicht unerheblich (Bohannon, 2024). Eine Frau ist nicht mal ebenso, nebenbei schwanger. Das neu entstehende Leben ist für sie wunderbar und kostbar.

Dann bedarf das neue Wesen jahrelanger Pflege und Fürsorge, wie im Tierreich im Wesentlichen eine weibliche Aufgabe – außer beim Hippocampus, dem Seepferdchen (Hein, 2021). Obwohl Frauen damit einen überproportional großen Anteil zur Arterhaltung beitragen, wird ihr Einsatz von Männern oft nicht gewürdigt.

Im Gegenteil: Damals wie heute werden Frauen systematisch benachteiligt, von Bildung ausgeschlossen und dürfen ihrer ‚natürlichen‘ Pflicht an Heim und Herd nachkommen (Beauvoir, 1949). Dieses universelle Verhalten beobachten die Ethnologen als Konstante der Menschheit (Müller, 1984). Daran hat auch die #metoo-Debatte nichts geändert.

Frauen werden unsichtbar gemacht, versteckt hinter Mauern, hinter Schleiern, hinter verschiedenartigen, hinter kleinen und großen Benachteiligungen im Alltag. Überall auf der Welt, jeden Tag. (Criado-Perez, 2020)

Ich, der männliche Homo sapiens sapiens, schüchtere Frauen ein, jage sie in die Dunkelheit und erkläre sie für minderwertig. Und ich tue ihnen sekündlich körperliche und seelische Gewalt an – weltweit. Weibliche Genitalien werden verstümmelt; Frauen werden vergewaltigt und ermordet. Die Weltreligionen schauen überwiegend wohlwollend, zumindest schweigend zu. Sie betonen zwar häufig die spirituelle Gleichwertigkeit der Geschlechter, doch spiegelt sich dies selten in ihrer Praxis wider. Kulturelle Einflüsse und patriarchale Strukturen haben dazu beigetragen, dass Frauen historisch als minderwertig angesehen wurden und weniger Rechte haben. Eva entstammt aus einer Rippe Adams, sie ist schmutzig und unrein. Die Menstruation macht dem männlichen Homo sapiens sapiens seit jeher Angst. Menstruierende Frauen sind seit grauer Vorzeit in allen Kulturkreisen am Unglück der Männer schuld. Ebenso absurde Theorien über einen „wandernden unbeschäftigten Uterus„, der bei Frauen Krankheiten verursacht, stammen von Hippokrates – dem Vater der „modernen“ Medizin – und wurden über Jahrhunderte gelehrt (Cleghorn, 2022)(Supplement 6).

Was ist das für eine Welt, wenn ich, als männlicher Homo sapiens sapiens, den Frauen ihre Selbstbestimmung über Sexualität und Fortpflanzung verwehre? In vielen Ländern werden die Möglichkeiten einer legalen Abtreibung heute zunehmend eingeschränkt. (Vereinigte Staaten von Amerika). Und bis heute existiert in den USA kein Zusatzartikel in der Verfassung, der eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen festschreibt (Equal Rights Amendment).

Und die zu kurz gekommenen, angeblich benachteiligten Männer, die keine abgekriegt haben, verbreiten sich bitterböse in Internet Foren, wie schlecht die Welt ist  (INCEL). Immer wieder die Macht der Kränkung.

Ich, der herrschende Mann, verteidige mich mit einem irreführenden Narrativ: Dass der Feminismus Männer unterdrücken will. Dass Frauen die Gleichberechtigung schon erreicht hätten und nun alles gut sein muss. Geradezu hysterisch reagiert der konservative Mann auf den Versuch, die Lebenswirklichkeit von Frauen, Männern und Nichtbinären in gerechte Sprache umzusetzen und nennt es Gender-Wahnsinn.

Ich, als unterdrückte Frau, lasse es geschehen. Herrschaft entsteht dadurch, dass die Beherrschten still halten und die herrschende Ordnung als gegeben hinnehmen. 

Homo sapiens sapiens vernichtet und mißachtet nicht zuletzt die Hälfte seiner geistigen Kapazität: Weil Mann das schöpferische und geistige Potenzial von Frau nicht anerkennt. Oder -noch perfider- Mann nutzt es und gibt es als männliche Geistestat aus. Da dürfen wir uns über den bescheidenen Zustand der Welt nicht wundern. Aufgrund der männlichen Ignoranz und Überheblichkeit gingen und gehen auch weiterhin viele wissentschaftliche Gedanken und kostbare Emotionen, mithin Lösungen für unsere weltweiten Probleme, verloren.

Wenn Frauen sich nicht meiner männlichen Verführung beugen, werde ich sie verfluchen – so dass niemand ihren düsteren Voraussagen Glauben schenkt.

Sage mir nicht meine Zukunft voraus, Kassandra, denn ich fürchte mich vor deinen Worten.

Krieg und weiter?

Ich benötige kein Patriachat, kein Matriarchat, sondern: die Herrschaft der vernünftigen Menschheit.

In einer idealen Welt könnte das gelingen, aber da sind wir nicht.

Dem unglaublichen Leid meiner Kriege gedenke ich heuchlerisch auf einem Festakt mit einer Kranzniederlegung. Aber die Waffen lege ich nicht nieder. Die Toten klagen nicht. Die Trümmerfrauen müssen aufräumen, das tun sie immer. Die traumatisierten Kinder, die Gewalt erlebt haben, tragen sie in ihren Herzen – und in ihren Genen– weiter. Wut, Hass und Gewalt werden in den kommenden Generationen fortgeschrieben.

In einer Welt, in der scheinbar alles mit allem vernetzt ist, entfernen wir uns von einer gemeinsamen globalen Abstimmung. Je mehr wir miteinander vernetzt sind, desto weniger können wir uns auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Es gibt keine globale Instanz, die die unterschiedlichen Denkansätze moderiert und eine Lösung findet, die zukunftsvernünftig ist.

Der Logos schweigt. Vernünftig hieße in diesem Zusammenhang – mit Rücksicht auf meine begrenzten geistigen Fähigkeiten: Ich kann zumindest heute noch nicht erkennen, dass meine Handlungen morgen Unheil hervorrufen. Zukunftsvernunft würde das Überleben meiner Spezies sichern, vielleicht jedenfalls.

Aber das Überleben meiner Art scheint mir völlig gleichgültig zu sein. Das unterscheidet mich elementar von meinen Mitgeschöpfen.

So beschäftige ich mich mit politischen Zielen, die einigen Wenigen kurzfristig Vorteile bringen und verbiete mir jede Diskussion über die Zweckmäßigkeit meines Handelns für künftige Generationen und den ganzen Erdkreis. Ich schreibe viele kluge Zeilen, in denen ich das Weltethos beschwöre, aber es gibt es nicht. (Küng, 1996) (Schweitzer, 2013). Stattdessen gibt es ohne Unterlass Gewalt und Krieg.

Fehlt mir also der Mut zum Frieden, zum Nachgeben, zum Verhandeln?

Fehlt mir die Fähigkeit zur sachlichen Moderation, zum Ausgleich, zum Verzicht auf Rache?

Die Probleme der Welt, besser: die Probleme von Homo sapiens sapiens werden nicht durch Aggression und Dominanz gelöst, sondern durch Kooperation, durch Teilen und Nachgeben. Oder wie Erich Fromm es ausdrückt: „Der Wille zu teilen, zu geben, zu opfern.“ (Fromm, 1979).

Die Menschen haben jahrelang über Krieg und Frieden geredet. Aber jetzt können sie nicht mehr darüber reden. Es gibt in dieser Welt keine Wahl mehr zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit. Entweder Gewaltlosigkeit oder Nicht-Existenz.“ (Martin Luther King Jr.)

Dass MLK jr. nicht nur ein radikaler Gegner der Rassendiskriminierung, sondern auch des Vietnamkrieges und der sozialen Ungerechtigkeit im Amerika der 50/60er Jahre war, scheint in Vergessenheit geraten zu sein (Eig, 2024).

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II ) Wissentschaft / Medizin Oder Wer hilft ?

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Aktualisiert Januar 2025

“Die Spanische Grippe wird zu Unrecht als Fußnote des Ersten Weltkriegs behandelt – sie forderte wohl mehr Opfer als beide Weltkriege zusammen“

(Spinney, 2018)

Die weltweite Krise der COVID-19-Pandemie (2020-2022) hat -wieder einmal-offengelegt, welche gravierenden Probleme und Widersprüche in der gesellschaftlichen Komplexität meiner globalisierten Welt lauern. Staunend sah ich, wie sich die globalen Konstruktionen wanden und brüchig wurden, wie die ‚Normalität‘ sich als das erwies, was sie eigentlich ist: ein Mythos. Zum Glück habe ich aber ein kurzes Gedächtnis und kann mich kaum noch daran erinnern (Drosten/Mascolo, 2024).

Ich war in Kenntnis einer zu erwartenden pandemischen Gefahr durch ein Virus, das z.B. über die Luft übertragen wird. Trotzdem sprach ich tapfer und völlig unbedarft: „Ich muß keine Masken tragen, das ist nicht erforderlich. Ein wenig Abstand halten genügt!“ Es war klar, warum ich so argumentiere: denn ich hatte nicht vorgesorgt und somit nicht genug Masken für alle vorrätig.  Von wegen für alle: ich hatte noch nicht mal für mein medizinisches und pflegendes Fach-Personal genügend vorrätig.

Ich hatte aus vergangenen Pandemien nichts gelernt, obwohl es ein Gutachten über die Gefahrenlage gab: es muss noch in irgendeiner deutschen Behörden-Schublade liegen. (RKI, 2013). Darin wird beschrieben, welche potentiellen Folgen zu erwarten sind, wenn eine hoch ansteckende, per Aerosol übertragene Krankheit das Gemeinwesen überfällt. Das Szenario war so bedrückend, dass ich es lieber nicht wissen wollte. Ich habe auch nicht auf die Virologinnen und Virologen gehört und ihre Warnungen anläßlich der SARS Epidemie 2002-2003.

Ich hatte anderes zu tun, als mich um die Gesundheit meiner Mitmenschen zu kümmern. Das COVID-19 Virus hat mich wieder kalt erwischt.  Ich dachte und denke immer noch: Katastrophenpläne und die Gesundheitsämter vorbereiten, Vorräte anzulegen, zum Beispiel Beatmungsgeräte und Personal vorzuhalten, darum kann ich mich immer noch in Ruhe kümmern, wenn das Haus in Flammen steht.

Von Welle zu Welle mache ich keine Lernfortschritte, sondern mit Begeisterung immer wieder die selben Fehler. Dann war das Bild der Welle nicht mehr treffend und ich knallte ohne Plan mit voller Wucht auf eine Wand. An der Wand starben täglich hunderte von Menschen.

International mache ich auch keine bessere Figur, was sie Vorbereitung und die Bewältigung der Pandemie betrifft. (The Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response, 2021) Internationale Solidarität, eine grundlegende Voraussetzung zur Bekämpfung einer Pandemie: Fehlanzeige. Der globale Süden hat angesichts der Pandemie deutlich gemerkt, was von den Versprechungen der Industrienationen des Nordens zu halten ist: Nichts. Keine patentfreien Impfstoffe, jeder ist sich selbst der Nächste (BMZ).

Ich habe wieder die sprichwörtliche Affen-Strategien angewandt: nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen. Einer meiner klassischen Denk-Fehler: der Survivorship Bias. Von meinen – eher wenigen – Erfolgen geblendet, sehe ich nicht, was mir total daneben geht. Unangenehme Nachrichten blende ich sowieso lieber aus. Zum Beispiel die ganz aktuelle Meldung, dass das Vogelgrippe Virus erstmals auch bei Rindern nachgewiesen wurde, in größeren Mengen auch in der Milch der Kühe und ich keine Ahnung habe, ob die nächste Pandemie gerade an die Tür klopft (Science Media Center). Die Trump Administration hat begonnen, die akademische Forschung zu beeinträchtigen, insbesondere in Bereichen wie Diversität, Gleichberechtigung, Inklusion und Barrierefreiheit (yahoo 4,2025).

Dies ist keine zukunftsfähige Strategie, das ist Flucht vor der Realität.

Oder auch wie es in der virologischen Wissentschaft pointiert wird: The cycle of panic and neglect.

Weil ich auf Vorsorge pfeife, weil zu teuer, blieb mir keine Zeit, Strategien zu entwickeln, einen kompletten Lockdown der Gesellschaft zu vermeiden. So verleugne ich standhaft die drohende Gefahr. Statt dessen halluziniere ich von Verschwörungen böser Mächte. Ich habe keinen großen Plan. Und wenn ich wenigstens einen kleinen Plan habe, mache ich viele Gewese darum, setze ich ihn dann aber nicht um (zum Beispiel die Anschaffung von Luftfiltergeräten in Schulen). Auch im Nachgang der Pandemie sind Pläne für einen differenzierten Infektionsschutz in Schulen nicht erarbeitet worden. Je länger die Covid Pandemie andauerte, desto hilfloser und kleinteiliger wurden meine Antworten auf die Herausforderungen. Wie so oft zeigte sich, dass ich mich nicht lange auf eine Sache konzentrieren kann. Das Virus machte derweilen ungerührt sein Ding.

Und die nächste Pandemie lauert schon (Eckerle, 2023).

Im Nachhinein kann ich meine falschen Handlungsweisen sehr gut begründen, möglicherweise sehe ich sie kurzfristig auch als Fehler an. Trotzdem handele ich in einer vergleichbaren Situation ähnlich fehlerhaft. Wie es Einstein schon bemerkte: immer wieder denselben Fehler machen und zu hoffen, dass irgendwann etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Ist das der vielgerühmte menschliche Logos?  

Ich bin erschöpft und müde und wollte und will rasch wieder zu meiner geliebten Normalität zurückkehren.Aber weder weiß ich, was normal ist, noch weiß ich, wie ich dahin zurückkommen soll. Die Chance, inne zu halten, nachzudenken und umzukehren, sich für eine nachhaltigere Lebensweise zu entscheiden, vertue ich wiederum. Es wird sich schon jemand um mich kümmern, wenn ich krank werde – falls es dann nicht nur leere Betten, sondern auch Pflegepersonal gibt. Das ist eher fraglich.

Dass der Eid des Hippokrates von angehenden Ärzt*innen geleistet wird, ist ein Fernseh-Mythos. Sein Inhalt hat für mich heute keine Bedeutung mehr. Dass ich meine Lehrer achten und im Alter unterstützen soll, wird in unserer Gesellschaft nicht mehr als relevant angesehen. Im Gegensatz zum Helfen, ist das Verdienen viel wichtiger geworden. Das kranke Gesundheitssystem verführt dazu und begünstigt es.

In den Werbeanzeigen von ärztlichen Praxen ist der Slogan zu lesen: „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“. Ich frage mich dann erstaunt: Was bitte soll sonst im Mittelpunkt von medizinischem Handeln stehen?

Ich kann es leider nicht leugnen: Es ist der Profit. (Deutsches Ärzteblatt 2018)

Ich habe einen Markt geschaffen, mit dem ich unglaublich viel Geld verdienen kann. Die kranke Aufteilung in eine zwei Klassen Medizin von privaten und gesetzlich versicherten Menschen erscheint wie ein Relikt aus der Feudalzeit. Ist denn die Gesundheit ein Handelsgut, von dem sich reiche Menschen mehr leisten können als arme?  Ja, dafür habe ich gesorgt.

Erstaunt höre ich die Klagen, dass auch in der durchgemachten Pandemie vor allem wieder sozial schlechter gestellten Menschen betroffen sind. Dabei handelt es sich um eine epidemiologische Binsenwahrheit. Aber auch dieser Erkenntnis-Stein ist mir wieder entglitten und den Hügel runtergerollt.

Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher. (Orwell, 1945) Das gilt insbesondere für das Menschen-Tier und das offenbar weltweit.

Es stellt sich die Frage: Wird denn wenigstens eine qualitativ hochwertige Gesundheit verkauft?  Antwort: Teils, teils.

In den wohlhabenden Ländern der ersten Welt handelt es sich um eine kostenintensive Ersatzteil Medizin, die punktuell hilft. Da Krankenhaus-Betreiber und Investoren von medizinischen Versorgungszentren in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden, ist ein Mehr an Leistung im Wesentlichen nützlich für die Aktionäre. Die schmerzende Hüfte ist schnell und profitabel gewechselt, an meinem ursächlich verantwortlichen Übergewicht und/oder Bewegungsmangel hat kein Chirurg ein Interesse. Daran bin ich selber schuld, oder?

Wo bleiben das Geld und die Initiativen für eine Gesundheitsprävention? Welcher Arzt, welche Ärztin hört mir in der Sprechstunde länger als 3 Minuten zu, ohne unruhig auf den Terminplaner zu blicken? Es ist kein Wunder, wenn ich mich, weil mir kein offizieller Mediziner zuhört, zu solchen Behandlern begebe, die sich in einer Marktlücke – nennen wir sie Zuwendung und Verständnis – niedergelassen haben. Und dabei mit oft fragwürdigen Methoden für meine Gesundheit und Wohlergehen und vor allem für den eigenen Geldbeutel sorgen wollen.

Wenn zum Beispiel der Zugang zu universitär ausgebildeten Psychotherapeuten eine Mangelware ist, dann eile ich bereitwillig zu Scharlatanen, wie dem Heilpraktiker für Psychotherapie. Für diesen ‚Beruf‘ gibt es keine verbindlich geregelte Ausbildung, da darf jede*r bis an die Grenzen der eigenen Fähigkeiten und weit darüber hinaus Unheil anrichten.  In unserem geordneten Staat werden Imbissbuden besser überwacht und qualitativ beaufsichtigt.

Und wo bleiben der Einsatz und die Mittel für das pflegende Personal – für Gespräche und für die Zeit in der Alten- und Krankenpflege?

Die Wertschätzung für die ECMO (Extrakorporale Membranoxigenierung im Rahmen der Intensivmedizin), deren Bedeutung es während der Hochzeiten der Pandemie in die allgemeine Medienlandschaft geschafft hat, ist durchaus berechtigt.

Die Wertschätzung für die Menschen, die sie bedienen, ist dagegen katastrophal gering ausgeprägt. Ich habe akribisch die leeren Krankenhaus-Betten, die mir in der Pandemie zur Verfügung standen, gezählt. Und derweilen haben die Pflegenden scharenweise das Weite suchen. Wer pflegt mich jetzt im leeren Bett? (Statistisches Bundesamt)(Deutscher Pflegerat).

Die Ökonomisierung der Medizin und der gesamten Wissenschaft ist ein grundlegendes und schwerwiegendes Problem. Wie unabhängig ist die Wissenschaft heute?

Seit Jahren weiß ich, dass eine umfangreiche Publikationsliste von mir dadurch erreicht werden kann, wenn ich nicht korrekt arbeite und meine Ergebnisse einer Über-Prüfung (peer review) dann nicht standhalten. So habe ich eine Reihe von pseudowissenschaftlichen Zeitschriften gegründet, die sich nicht mit einem Kontroll-Verfahren über die Qualität meiner eingereichten Arbeit absichern. Alles wird veröffentlicht, wenn ich es bezahle. Ich organisiere sogar wissenschaftliche Fake Kongresse. Ob und wie lange diese wissenschaftliche Reputation Bestand hat, interessiert mich nicht. (Eliezer Masliah, Alzheimer Forschung).

Diese Reputation ist wiederum Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere, für Jobs, für Drittmittel.   Als wissenschaftlicher Mitarbeiter schleppe ich mich von Befristung zu Befristung – Festanstellungen sind wie Goldstaub (Wissentschaftzeitvertragsgesetz). Unter solchen Bedingungen kann kein solider wissenschaftlicher Fortschritt entstehen. Ein solcher Fortschritt für die menschliche Zivilisation ist aber bei den vielen Problemen vor denen wir stehen dringend erforderlich. So aber produziere ich nur Science-Müll, der, insbesondere von wissenschaftlichen Laien, nur schwer erkannt werden kann.

Gefährlich ist es auch, wenn selbsternannte Expert*innen mich verunsichern. Wenn Titel und Auszeichnungen mich täuschen. Wenn mir zum Beispiel ein Arzt erklärt, eine Masernimpfung löse bei Kindern Autismus aus (Dr. med. Andrew Wakefield). Oder wenn zwei Nobelpreisträger das allgemein anerkannte Faktum des Klimawandel – heute können wir schon von einer Klimakatastrophe sprechen -abstreiten (World Climate Declaration). Besagte Herren Nobelpreisträger sind Physiker und haben in ihrer beruflichen Laufbahn nie mit Klimawissenschaften zu tun gehabt, geschweige denn dazu veröffentlicht.

Sind solche Mythen erstmal in der Welt, sind sie kaum noch auszurotten. Sie reihen sich ein in die Legionen der pseudowissenschaftlichen Lügen, die zu allen Zeiten von mir geglaubt und verbreitet werden. Wenn der 45. amerikanische Präsident vor laufender Kamera empfiehlt, gegen das Corona Virus therapeutisch Chlorbleiche zu injizieren, oder sich starkem Licht auszusetzen, dann ist das die Spitze der Absurdität- und lebensgefährlich.

Die Ökonomisierung der Wissenschaft führt zu einem globalen Wettbewerb zwischen den Instituten. Dabei handelt es sich nicht um einen fairen Wettbewerb. Ich verzerre diesen Wettbewerb mit Geld und Lobbyinteressen.

Grundlagenforschung, als auch Forschung außerhalb des Mainstream vernachlässige ich (undone science), weil sie wenig rentabel ist. Zum Beispiel:

  1. Langzeitstudien zu den Gesundheitsrisiken von Pestiziden oder von Mikroplastik
    • Während es viele Studien gibt, die kurzfristige Auswirkungen von Pestiziden untersuchen, fehlen oft umfassende Langzeitstudien zu chronischen Erkrankungen wie Krebs oder neurologischen Störungen.
  2. Alternative Energien gegenüber fossilen Brennstoffen
    • Jahrzehntelang floss ein Großteil der Forschungsgelder in die Optimierung fossiler Brennstoffe, während Studien zu erneuerbaren Energien vernachlässigt wurden. Erst mit der Klimakrise änderte sich dies langsam.
  3. Nebenwirkungen von Medikamenten bei Frauen
    • Viele medizinische Studien wurden historisch an Männern durchgeführt, sodass es Lücken in der Forschung gibt, wie Medikamente speziell auf den weiblichen Körper wirken.
  4. Untersuchung alternativer ökonomischer Modelle
    • Die Forschung konzentriert sich stark auf kapitalistische Wirtschaftsmodelle, während alternative Systeme wie Postwachstumsökonomie oder Gemeinwohlökonomie oft unterfinanziert sind.
  5. Soziale und psychologische Auswirkungen der Digitalisierung
    • Während viel Forschung zu technischen Aspekten der Digitalisierung existiert, gibt es vergleichsweise wenige Studien zu langfristigen sozialen und psychischen Folgen, etwa durch soziale Medien oder Künstliche Intelligenz.

Ich bevorzuge prestige- und gewinnträchtige Forschung, deren Ergebnisse sich im besten Fall in steigenden Umsatzzahlen und Börsennotierungen widerspiegeln. Eine weltweit koordinierte Forschung ist extrem wichtig, hier existieren zahlreiche Organisationen. Allerdings scheitert sie auch an ideologischen Grenzen (USA 01,2025)(Argentinien 02,2025). So werden Energien und Ressourcen vergeudet

Wir werden diese Energien und Ressourcen irgendwann nicht mehr haben.

Die Covid-19 Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie Geld (BMBF, 2020) Forschung beschleuniget hat. Aber das passiert nur dann, wenn der Dachstuhl brennt und die Not – und der zu erwartende spätere Profit – am größten ist. Forschungsprojekte, die Prophylaxe und die Verbreitung von Krankheiten, wie AIDS oder Tuberkulose in der dritten oder vierten Welt ergründen wollen, sind weniger gut ausgestattet. Dieses Vorgehen erscheint mir mehr als kurzsichtig. Kann ich wissen, welche Dynamik in diesen, angeblich überwundenen Krankheiten noch stecken kann?

Aber das Nachdenken über Morgen ist nicht meine Stärke.

So vernachlässige ich scheinbar unspektakuläre Projekte wie Aufforstung oder Agrarumwandlung zur Ernährung von hilfsbedürftigen Menschen in sich vergrößernden Wüstenregionen und deren Wasserversorgung. Wir sehen die Hunger- und Durstkatastrophen kommen, aber tun nichts dagegen.

Das ferne Leid? Das interessiert mich nicht. Es wird aber, so viel ist sicher, kein fernes Leid bleiben – es wird mich selber irgendwann betreffen. Wie lange wird mein Acker mich noch ernähren, wenn ich ihn pausenlos vergifte?

Wissenschaft und Technik sind des Homo sapiens sapiens größtes Image Projekt. Es verschleiert am besten mein Unvermögen, die Welt, unsere Umwelt zu begreifen, wirklich zu verstehen. Die Bedürfnisse der Welt sind meine – unser aller – Bedürfnisse. Umgekehrt verhält es nicht so. Der Welt sind meine Bedürfnisse völlig egal. Wie unsere und die Bedürfnisse der Umwelt in Einklang gebracht werden können, kann – wenn überhaupt – nur faktenbasierte, ideologiefreie und von wirtschaftlichen Belangen freie Grundlagenwissenschaft klären.

Um meinen ausufernden Lebensstil mit ungebremster CO2 Freisetzung weiter führen zu können, denke ich über monströse technische Lösungen nach, die nicht zielführend – im schlimmsten Fall sogar gefährlich – sind. Im Falle der Klimakatastrophe plane ich Geoengineering, wie Solar Radiation Management.

Im Namen der Wissenschaft begehe ich sogar Verbrechen. Verbrechen gegen mich selbst, als auch Verbrechen gegen meine Mitgeschöpfe. Letzteres ist unzweifelhaft erkennbar in meiner tradierten Idee, Tierversuche könnten mir in dem Verständnis menschlicher Krankheiten und ihrer Bekämpfung weiterhelfen.  Der Philosoph Descartes („Ich denke, also bin ich“,  Meditationes de prima philosophia, 1641) erkannte sich selbst ein Sein und Denken zu, nicht aber Tieren, die er als reine Automaten – als Maschinen – begriff.

Ob er allerdings tatsächlich Hunde vivisezierte hat und in ihrem qualvollen Schreien nur das Quietschen einer inneren Mechanik gehört haben will, ist fraglich. Allerdings war die Sektion von Tieren ohne Narkose im 17. Jahrhundert nicht unüblich. Empathie verteile ich sehr ungleich. Wenn ich meinem geliebten Haustier allen erdenklichen Luxus und Pflege zukommen lassen, akzeptiere ich gleichzeitig millionenfaches Leid der sogenannten Nutztiere, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass zum Beispiel auch Fische eine Selbstwahrnehmung haben. (Metzinger, 2021)

Betrachte ich die Theory of Mind. Ich, Homo sapiens sapiens, behaupte, dass ich genau weiß, wer von meinen Mitgeschöpfen zu welcher Geistesleistung fähig ist. Jedes menschliche Individuum weiß, so vermute ich, dass es im Kopf eines anderen Individuums eine unterschiedliche Ideenlandschaft gibt und richtet sein eigenes Handeln danach aus. Moderne Forschungsergebnisse zeigen eindeutig, dass auch Tiere über ein emotionales Bewusstsein verfügen. Dass sie Empfindungen haben, Freude und Trauer erleben, in ihrer Weise auch lügen, lachen oder Unsinn machen können. (Safina, 2017)

In Abwandlung des Descartes-Zitats halte ich mich unverändert für herausragend. „Ich denke, also bin ich was Besonderes“.

Es wurden und werden in der Vergangenheit und Gegenwart hunderttausende von Tieren in den Versuchslaboren – zum Beispiel von der Zigarettenindustrie umgebracht – um die Giftigkeit unterschiedlicher Tabaksorten oder Beimischungen zu Zigaretten oder Verdampfer zu testen. Oder die angebliche Harmlosigkeit von menschengemachten Umweltgiften zu ermitteln. Dazu mussten Primaten Autoabgase einatmen.  Je nachdem, welches Versuchstier ich verwende, kann ich auch Ergebnisse erzielen, die meinen Zielen und vorgefassten Meinungen am besten entsprechen.

Das hat nichts mit Wissenschaft zu tun, das ist Hokuspokus. Lange Zeit habe ich die Gefährlichkeit von Bisphenol A in Kunststoffen dadurch heruntergespielt, dass ich die Substanz an speziell gezüchteten Mäusepopulationen getestet habe, die mit dem menschlichen Hormonsystem nichts zu tun haben. Aber ich behaupte voller Überzeugung, ich könne an den Ergebnissen aus Tierversuchen etwas über den Menschen lernen.

Ich könnte, wenn ich Elektroden im Hirn von Affen versenke, deren Gedanken lesen. Und könnte dann menschliche Empathie als Funktion von sogenannten Spiegelneuronen besser verstehen. Empathie ist offenbar ein sehr begrenztes Gut. Ich hab nicht soviel davon – wenn ich ehrlich bin.

Neben der absurden Massentierhaltung, habe ich eine weitere unsägliche Industrie geschaffen, die Versuchstiere herstellt. Ich kann sie im Katalog auswählen. Tiere mit künstlich erzeugten Gendefekten, mit Tumoren oder mit Stoffwechselstörungen. Meine Mitgeschöpfe, die ich zu einem kranken, leidvollen Leben geboren und verurteilt habe, lasse ich mir auch noch patentieren. Dann kann niemand außer mir diese Krebsmäuse verkaufen oder Affen mit Parkinson. Versuchstiere gibt es auch im Sonderangebot, wenn ihre Haltbarkeit abläuft. Werden sie nicht verkauft, werden sie getötet. So wie die Mehrzahl der Versuchstiere, die meine Versuche nicht überleben.

Die Giftigkeit eines Stoffes wird angegeben durch die letale Dosis. Da eine solche Dosis bei mir selbst – verständlicherweise – nicht ermittelt werden kann – außer in den ganz finsteren Zeiten (Bundesärztekammer, 2011), erforsche ich sie an Tieren. So beschreibe ich die letale Dosis (LD 50) als den Wert eines Gift-Stoffes bei dem 50 % der Versuchstiere sterben. Um diesen Wert zu ermitteln, muss ich Versuchsreihen anstellen, um diesen Wert einzugrenzen. In meinem Bemühen einen fragwürdig nützlichen Wert zu ermitteln, werden umsonst Tiere gequält und getötet. Ob sich dieser Wert auf den Menschen übertragen läßt, ist fraglich.

Die Wirkung von Antidepressiva teste ich an Ratten. Ratten sind nicht depressiv, es gibt darauf keinen Hinweis. Vielleicht werden sie es, wenn sie mich im weißen Kittel durch das Labor laufen sehen. Ich setze sie in ein Gefäß mit Wasser, aus dem sie nicht entkommen können. Sie müssen in panischer Angst schwimmen, um nicht zu ertrinken. Bis sie entkräftet aufgeben. Dann bekommen Sie eine Dosis Antidepressiva und wenn sie bei dem folgenden Schwimmversuch länger aushalten, dann glaube ich, dass dieses Antidepressivum Wirkung zeigt (Ärzte gegen Tierversuche). Es ist absurd.

Wenn ich lese, dass menschliche Gefangene der Foltermethode namens Waterboarding unterzogen werden, beschleicht mich entsetztes Grauen. Bei Ratten geht meine Empathie sprichwörtlich baden.

In dem letzten Satz meiner pseudowissenschaftlichen Tierstudien bekenne ich dann kleinlaut: „Weitere Studien sind erforderlich“.  Was bedeutet – weitere Tiere werden geopfert und weitere Doktoranden bekommen einen Titel. Irgendwann werde ich die potentiellen neuen Medikamente an menschlichen Versuchspersonen testen müssen, weil alles andere mir nicht hilft: Es ist erforderlich. Ich kann mich nicht auf die vorangehenden Ergebnisse der Tierversuche verlassen.

Das Schmerz- und Rheumamittel Benoxaprofen verursacht beim Menschen schwere Nebenwirkungen wie Nierenversagen, im Affenversuch konnte das nicht festgestellt werden, weil die Tiere den Stoff schneller verstoffwechseln. (Gericke, 2015) (PETA)

Ich weiß über den genauen Wirkmechanismus eines Medikaments im menschlichen Körper nicht im Detail Bescheid. Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten sind ebenfalls nicht komplett bekannt. Antidepressiva sind ein Beispiel dafür, dass bei fehlendem Verständnis der zu Grunde liegenden biochemischen Prozesse dieser Substanzgruppe im menschlichen Organismus, trotzdem im klinischen Alltag häufig eingesetzt werden. Sie wirken, das genügt mir. Nicht bei allen Menschen, auch nicht direkt, sondern erst nach einer gewissen Zeit und eine direkte Dosis-Wirkungsbeziehung gibt es nicht. Ich nenne das: Den Serotonin-Mythos. (Bschor, 2018)

Gerade erst beginnt die Medizin zu erforschen, dass Frauen eine spezielle geschlechtsangepaßte Behandlung benötigen – eigentlich selbstverständlich. Ich habe in den vergangenen Jahrtausenden viel darüber geschrieben, dass Frauen anders sind als Männer. Damit sollte aber in der Regel die weibliche Minderwertigkeit bestätigt werden (Müller, 1984).

Der weibliche Körper hat eine eigene sehr spezifische Evolution hinter sich (Bohannon, 2024). Eine Männer-Medizin ist für Frauen nicht heilsam, sondern schädlich. Aber während tausender Jahre männlich dominierter Medizingeschichte wurde das fehlende Wissen um den weiblichen Körper und die Fortpflanzung dazu verwendet, wüste Fantasien über einen im Körper der Frau herumgeisternden Uterus zu verbreiten. Die dadurch angeblich verursachten Krankheiten der Frau konnten nur durch ständige Schwangerschaften geheilt werden. Laute Geräusche sollten den Uterus erschrecken, damit er wieder seinen Platz rutscht (Cleghorn, 2022).

Das scheint genauso sinnvoll, wie ein lauter Trommelwirbel, damit der Verstand in den Kopf mancher Männer springt.

Männliche Labortiere werden bevorzugt, sie sind bezüglich des Hormonstatus einfacher zu handhaben. Was aber bedeutet, dass die resultierenden Ergebnisse nicht gleichermaßen auf ♂ und ♀Individuen angewandt werden können. So gibt es bei Medikamenten bislang keine unterschiedlichen Dosierungsempfehlungen für Männer und Frauen.

Noch ein Mythos gefällig? Mein wundersamer Glauben an die Wirksamkeit der Homöopathie! Ich erfinde die Geschichte davon, dass „Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“, stelle eine Verdünnungsreihe her (oder sollte ich besser schreiben: eine Verdummungsreihe), bis nur noch die Idee eines Wirkstoffmoleküls in dem Zucker-Kügelchen vorhanden ist. Es bedarf keiner Wirksamkeitsstudie für diese Zuckerli, es reicht, wenn ich sage: Es wirkt! Und als Höhepunkt der Verdummung sind diese Präparate in Deutschland Apotheken-pflichtig und erhalten somit den Ritterschlag mit wirklichen Medikamenten in einem Schrank stehen zu dürfen und von akademisch ausgebildeten Apotheker*innen verkauft zu werden. Die sich dafür nicht zu schade sind.

Ein klassisches Beispiel für Unvernunft. Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathie, über den Placebo-Effekt hinaus, belegen (Shang et al, 2005). Sie verkaufen sich aber bestens, es ist ein Millionen Geschäft. Das ist kein Mythos.

Zum bitteren Ende: Ganz ungern, eigentlich gar nicht, erinnere ich mich an die dunkelsten Zeiten meiner „wissenschaftlichen“ Bemühungen. Daran das die Anfangserfolge der Wehrmacht im 2. WK nur möglich war, weil die Soldaten (nach den ersten systematischen Drogenversuchen der Militärgeschichte) mit Metamphetamin vollgepumpt waren (Ohler, 2015).

Und daran, dass im Namen des wissenschaftlichen Logos schreckliche Verbrechen an wehrlosen Menschen verübt worden sind. Ich verdränge die medizinischen Versuchsreihen an hilflosen Frauen, Männern und Kindern in den Konzentrationslagern, in den Alten- und Pflegeheimen.  Hier war keine menschliche Intelligenz am Werk, hier herrschte der reine Sadismus. Das war keine „Medizinische Forschung“ , das war Quälerei, Perversion, Mord (Mitscherlich, Mielke, 1989), (Kater, 2000).

Ich schäme mich. Niemals sollte ich diese Schuld vergessen. Auch nicht, wenn die modernen Faschisten verächtlich von einem Schuldkult sprechen und damit die Verantwortung für das Grauen des NS Regime leugnen.

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I ) Vernunft versus Verstand oder genügt Wissen allein?

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Aktualisiert Januar 2025

Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.

Anonymus


Ich bin besorgt.

Fast unbemerkt ist etwas entstanden, das ich nicht verstehe und das mich ängstigt. Ich habe ihm den Namen KI gegeben – Künstliche Intelligenz. Ich habe der KI die Fähigkeit verliehen, selbst zu lernen. Wie sie das macht, weiß ich nicht. Aber in kurzer Zeit spielt die KI Schach und Go besser als ich und auch besser als alle elektronischen Rechenmaschinen der Vergangenheit (AlphaGo)(Alpha Go gegen Lee Sedol).

Die KI schreibt Romane, Dissertationen und Musik. Sie erzeugt Bilder, die so täuschend echt sind, dass ich sie kaum noch als Fälschungen erkennen kann. In den sozialen Netzwerken wird die KI zum Influencer, zur Influencerin, dessen und deren Meinungen und Vorlieben für andere zum Vorbild und zur Inspiration werden (Netzpolitik.org, 2023). Und natürlich kann sie auch in Militärdrohnen eingesetzt werden und über Leben und Tod von Menschen entscheiden (National Geographic, 2024).

Schon schreibe ich Horror-Geschichten über ein superintelligentes Silizium-Wesen mit furchteinflößender Unpersönlichkeit, welches ich selbst geschaffen habe und welches mich, die Krone der Schöpfung, unterjochen wird. Ich verstehe nur ansatzweise, wie die KI in Zukunft meine verschiedenen Lebenswirklichkeiten verändern wird – aber höchstwahrscheinlich auf drastische Art und Weise. (Lobo, 2019)

Andererseits lese ich staunend von todesmutigen – oder sollte ich besser sagen: unglaublich dummen – Menschen, die ihr Leben einem autonom fahrenden Auto anvertrauen und dabei zu Schaden kommen. Es ist ein merkwürdiges Phänomen: Je komplizierter die Technik und je weniger ich sie verstehe, desto mehr unbegründetes Vertrauen setzte ich in sie.

Sollte ich nicht besser, bevor ich mich in den Kampf mit der Matrix oder einem selbstfahrenden Tesla begebe, darüber nachdenken, welche schrecklichen, weitgehend unabsehbaren Folgen das Wirken und Walten einer ganz anderen Intelligenz hat – nämlich meiner eigenen?

Für die natürliche Intelligenz – für die es keine Abkürzung gibt – und deren Walten ich ebenfalls nur unvollständig verstehe.

Ob nun der Verstand oder die Vernunft die höhere Instanz ist, darüber streite ich mich seit Jahrhunderten erbittert mit mir. Natürlich auch darüber, ob es überhaupt einen Unterschied gibt. Im allgemeinen Verständnis tue ich mich schwer, einen solchen zu definieren. Der Verstand analysiert das mich Umgebende, erstellt Vermutungen über Kausalitäten, hilft mir, durch den Tag zu kommen. Die Vernunft soll dann allgemeingültige und für mich überlebens-wichtige Schlussfolgerungen konstruieren. Dabei übersehe ich die grundlegende Tatsache, dass entwicklungsbedingt deutlich ältere Anteile meines Gehirns, meine Wahrnehmung filtern und alles, was mich an Sinneseindrücken erreicht, beeinflussen. Trotzdem halte ich meine Wahrnehmung der Realität für wahr und vollständig. Mein Gehirn stellt aber nur Vermutungen über die Wirklichkeit an und trifft Vorhersagen (predictive processing), die manchmal weit an der Realität vorbeigehen. Mein Gehirn ist nicht dafür gemacht, die Welt objektiv zu erkennen, sondern einzig allein dafür, mein Überleben als Individuum zu sichern. Ob das auch nützlich für die Spezies und diesen Planeten ist, wird die Zukunft zeigen.

Wir nehmen die Welt nicht so wahr, wie sie ist, sondern wie es für uns nützlich ist“ (Sterzer, 2022).

Ich halte meinen Verstand für ein unabhängiges Instrument das ich beherrsche, und das zu klaren, logischen Schlüssen fähig ist. Und das, ohne irgendeine Rücksicht auf die Folgen des daraus resultierenden Tuns zu nehmen. Dabei sollte ich es besser wissen. Ich bin allzu sehr versessen auf eine Leichtigkeit – Faulheit – des Denkens und (vor-)schnelle Entscheidungen, die mir vorlautes und leicht zu beeinflussendes ‚System1‚ (Kahnemann, 2016) präsentiert.

Wo der Verstand aber nur rudimentär erkennen kann, kann die Vernunft auch keine visionären Entwürfe für die Zukunft der Spezies Mensch zeichnen. Es verhält sich ähnlich wie Ethik zu Moral. Moralische Ansichten habe ich viele – teilweise verschwommene und unscharfe. Eine allgemein gültige Weltethik, die ein auskömmliches Zusammenleben der Spezies Mensch ermöglichen würde, ist mir bis heute nicht geglückt.

Ich hänge fest im Düsterwald von Ahnungen, Ängsten und den Deutungen meines Hirnstamms. Meine Ängste versuche ich dadurch zu beherrschen, dass ich mir alternative Surrogate schaffe, in die ich mit Hilfe noch relativ primitiver bioelektronischer Schnittstellen einzutauchen versuche. Ich betrachte virtuelle Realitäten und verdränge in einem neuen bunten Metaversum gekonnt die Tatsache, dass mein reale, einzig wirklich existierende Umwelt den Bach runtergeht.

Wenn ich den neurowissenschaftlichen Untersuchungen glauben kann, dann haben Vernunft und Verstand unterschiedliche Lokalisation im Gehirn.  Trotz aller Bemühungen gibt es bis heute keine genaue Landkarte des Gehirns. Nach Einzelfallbeobachtungen sind fokale Schädigungen des Gehirns mit einem unvernünftigen oder aber einem unverstandesmäßigen Verhalten verbunden. Andererseits werde ich trotz intensiver Suche bei Verschwörungstheoretikern keine auffällige Hirnwindung finden, die mir das standhaftes Leugnen der Fakten erklärt.

Habe den Mut, dich deines eignen Verstandes zu bedienen“, schreibt der Philosoph Immanuel Kant.

Ich füge hinzu: „Und die Vernunft, deinem Verstand stets zu misstrauen“.

Die Gedanken sind frei und deshalb dringend geboten, sie genau im Auge zu behalten.

Was nutzt mir eine akademische Diskussion über den Verstand/die Vernunft für mein daraus resultierendes, unvernünftiges, ja katastrophales Verhalten? Da mache ich mir in meiner guten Stube am Schreibtisch jahrzehntelang über menschliche Grundsatzprobleme tiefgreifende Gedanken und frage mich: „Was kann ich wissen?“ Ich kann darüber grübeln, wie ich in einer bestimmten Situation handeln soll und ethische Basisprotokolle erstellen. Wie soll ich zum Beispiel das Leben eines einzelnen Menschen bewerten – wenn es sich zum Beispiel um einen rücksichtslosen Diktator handelt. Ist dann ein Attentat gerechtfertigt? Und wenn dabei Unbeteiligte sterben? Ist Mord mit irgendeiner Rechtfertigung möglich? Ist die Todesstrafe legitim?

Wenn ich aber in einer neuen, mir unbekannten Situationen rasch handeln muss: Wer oder was entscheidet sich dann; meine Vernunft, das ethische Basisprotokoll?

Nein, meine neuronalen Netzwerke auf ihrer elektrochemischen Basis berechnen Wahrscheinlichkeiten, die im Wesentlichen darauf angelegt sind, mein eigenes Überleben als Individuum zu sichern. Das Programm heißt Me first. Es ist ein evolutionäres Grundlagenprogramm und äußerst erfolgreich. Wer überlebt, ist angemessen angepasst. So war es zumindest bislang.

Vergleichbar einem Computer bin ich abhängig von meinem Betriebssystem, meiner Basisprogrammierung – dem weitgehend unbekannten Hirnstamm-BIOS. Daran komme ich nicht vorbei. Diese uralte Programmierung ist die Grundlage meines Handelns. Wie bei Microsofts Window ist mir der Quellcode nicht bekannt, doch er kann von niemanden geleakt werden.

Das Savannen-Betriebssystem hat bis heute kein relevantes Update erfahren. Einzelne Handlungs-(Programm-)abläufe mögen sich bei der Umstellung vom Jäger und Sammler zum sesshaften Dorfbewohner geändert haben. Aber ich bin noch nicht lange genug im evolutionären Prozess zugange. Also verhalte ich mich so, wie meine Grundprogrammierung es zulässt: Flucht oder Angriff. Die Evolution hat mich für das Überleben optimiert. Die Anpassung entspricht dem Vorhandensein einer realen Welt zu der unser Geist, unsere Sinne passen. Doch wenn sich unsere Welt rapide verändert, ohne dass unser Geist Zeit hat, sich anzupassen, stehen wir vor einem Problem: Wir haben keine passenden Antworten mehr.

Außer Flucht und Angriff käme heute noch eine dritte Option in Betracht: Nachdenken. Sofern ich davon ausgehe, dass ich das kann.

Doch diese dritte Option steht in einem deutlichen Widerspruch zu meinem affektgesteuerten Verhalten. Es ist auch nicht förderlich, dass wir zunehmend in einer Zeit der Zeitlosigkeit leben. Entscheidungen müssen, so wird mir suggeriert, schnell getroffen werden. Ein Homo sapiens sapiens, der auf eine Frage nicht direkt eine wohlformulierte Antwort geben kann, wird mit Argwohn betrachtet. Ich bin nur dann ein Held, wenn ich ohne Umschweife in Aktionismus verfalle (Action Bias).

Wenn sich dieser Aktionismus im Nachhinein als Fehlentscheidung herausstellt, dann werde ich flink eine neue Geschichte dazu erzählen: Mein Scheitern wird zum Erfolg erklärt. Meine ultrakurze Aufmerksamkeitsspanne verhindert erfolgreich, dass ich mich an die falschen Ideen und gebrochenen Versprechungen von vorher erinnere. Deshalb gewinnt der Homo politicus seine Wahlen mit immer den gleichen Slogans. Ich nenne es politische Demenz.

Meine Vernunft ist ein Vorwand, mein Verstand ein bereitwilliger Geselle, mein unvernünftiges Verhalten in ein rationales Gewand zu stecken, wenn ich wieder den größten Blödsinn anstelle.

Bin ich ein rationales oder irrationales Wesen? Oder…

bin ich einfach nur dumm?

Bin ich klammheimlich auch noch stolz auf mein irrationales Verhalten? Ist möglicherweise dieser Stolz auf den Unsinn, den ich oft genug verzapfe, mein größtes Handicap? Dabei will ich doch als vernünftiges, kluges Wesen gelten – als Krone der Schöpfung.

Unter vernünftigem Tun verstehe ich menschliches Verhalten, das eine überlebenswerte Welt für mich, meine Spezies und auch (!) meine Mitgeschöpfe schafft und erhält.

Ich bin eine humanitäre Katastrophe – und das ist ein Alleinstellungsmerkmal des Homo sapiens sapiens.

Mein eigener Untergang wäre vielleicht verzeihlich, nicht aber der gigantische Kollateralschaden: die Zerstörung des globalen Ökosystems Erde.

Leider gibt es dagegen nirgendwo eine Versicherung gegen die Folgen meiner Unvernunft – eine Police gegen Dummheit.

Es ist nicht so, dass ich das nicht wüsste. Mir sind die Probleme und die zunehmenden Baustellen um mich herum nur zu gut bekannt. Das macht mich wütend und frustriert. Wenn ich mit offenen Augen durch die Welt gehe, oder es zumindest versuche, kann ich es sehen, aber ich will nicht.

Meine Mitmenschen haben sich viele Gedanken gemacht. Kluge Bücher stehen in den Regalen der Bibliotheken, sind abrufbar im Internet, sind besprochen und kommentiert. Aber im tiefsten Inneren habe ich sie nicht verstanden oder will und kann ihr Wissen und ihre Handlungsempfehlungen nicht annehmen (Fromm, 1979) (Richter, 1979) (Harari, 2018).

Die klugen Gedanken haben keine Auswirkung auf das kollektive menschliche Handeln. Für dieses Dilemma gibt es einen Fachbegriff: Kognitive Dissonanz. Obwohl ich weiss, dass ich falsch handele, tue ich es – immer wieder, mit größter Begeisterung. Seit dem Anbeginn meines Handelns.

Trotz all dieser stimmigen Analysen und unübersehbarer Warnzeichen in meiner Umwelt bin ich nicht willens – schlimmer noch, ich bin nicht in der Lage – etwas an mir und meinem Handeln als Spezies zu ändern. Die mich antreibenden Emotionen und inneren Kräfte lassen sich nicht kontrollieren. Ich habe die Übersicht und gleichzeitig auch nicht. Ich habe keine Macht über meine destruktiven Handlungen: Aber mein Narrativ ist ein anderes.

Ich bin mir völlig im Klaren, dass die Bildung und Erziehung meiner Kinder – der kommenden Generationen – die wichtigste Aufgabe sein muss: Für Chancengleichheit, gegen Armut, für ein selbstbestimmtes Leben und gegen Unterdrückung. Bildung sichert das Überleben der Spezies.

Es sollte keine Erziehung sein, die junge Menschen in eine speziellen ideologischen Weltsicht funktionieren läßt. Sondern eine Erziehung der inneren Ausgeglichenheit, der emotionalen Stabilität und Empathie mit allem, was uns umgibt. Nicht Faktenwissen steht an erster Stelle, sondern die Fähigkeit, selbsttätig und unbeeinflusst zum Verständnis von Zusammenhänge nichtlinearer Systeme und zu überlebenswichtigen Schlussfolgerungen zu gelangen (Vester, 1989).

Es sollte auch und vor allem um die Vermittlung von Werten gehen, die ich schon so oft vergeblich beschworen habe: Gleichheit, Freiheit, Schwesterlichkeit. Mein fester Glaube an eine der Welt inne wohnende Gerechtigkeit, an ein Happy End (Lerner, 1980) ist unbegründet. Ich will den alles regierenden Zufall und das mich umgebende Chaos nicht wahrhaben, weil sie mir Angst machen. Die Filmindustrie lebt zu einem großen Teil von Helden und Heroen, die nach spannungsreichem Kampf erfolgreich den Sieg über die dunklen Mächte und die Schurken davontragen. Ich liebe diese Filme.

Aber warum gehen nicht alle Kinder – auch die Mädchen – dieser Welt in eine Schule? Gut gekleidet, mit einem Pausenbrot ausgerüstet und frei von Angst? Warum indoktriniere ich meine Kinder mit falschen, lebensfeindlichen Ideologien? Warum müssen Kinder in vielen Ländern – ohne Hoffnung auf Besserung – in Bergwerken schuften oder sich prostituieren? Warum gibt es Kindersoldaten?

Angeblich gibt es in unserer modernen Welt keine Sklaverei mehr. Ich weiss, das stimmt nicht. (Unicef),(Skinner, B., 2008). Ich lese erschüttert von weltweiten Netzwerken, die mit Kinderpornografie handeln. Frauen und Kinder sterben eingesperrt in Fabriken in Fernost, die keinerlei Sicherheitsstandards bei Bränden aufweisen. Sie müssen für einen Hungerlohn arbeiten. Die internationalen Konzerne können aber ein zweifelhaftes Zertifikat über angeblich faire Arbeitsbedingungen vorweisen. Damit die Menschen der Ersten Welt die billigen Klamotten ohne Gewissensbisse heute anziehen und morgen wegwerfen können.

In der Adventszeit sehe und spende ich im Fernsehen: „Ein Herz für Kinder“. Den Rest des Jahres wende ich mich ab, vom Leid der Schwächsten. Vom Leid derer, die die Zukunft meiner Spezies sind.

Nicht einmal in der reichen Republik Deutschland ist es möglich, allen Kindern gleiche Chancen zu bieten, egal aus welcher sozialen Schicht oder aus welchen Ländern sie kommen. Die schulische Infrastruktur muss dringend erneuert werden, beginnend mit der Bausubstanz, ganz zu schweigen vom Lehrermangel, von veralteten Lehrmitteln und überholten Denkstrukturen: Wie der Idee, dass Noten etwas über menschliche Qualitäten aussagen. Oder die Idee, Quantität von Lehrstoff ersetze die Qualität. (Dt. Schulportal) (PISA Studie 2023).

Die kommenden Generationen sollen es richten, sollen es besser machen. Aber wie soll das gehen, wenn ich ihnen nicht beibringe, was wirklich wichtig ist?

Fernseher und die anderen allseits verfügbaren Bildschirme flackern in meiner Wohnhöhle. Sie sind ein machtvoller Ersatz für die Magie der alten Feuerstelle, um die sich meine Urahnen in ferner Vergangenheit gedrängt haben, die sie gewärmt und ihnen Sicherheit versprochen hat. Schon damals wurden an den Feuerstellen Geschichten erzählt. Es waren Geschichten, die das Überleben der Gemeinschaft befördert haben. Auch heute verbreiten die – jetzt digitalen – Feuerstellen Geschichten. Allerdings ist ein Großteil dieser Erzählungen für die Gemeinschaft nicht mehr hilfreich, ganz im Gegenteil.

Die Anzahl der Geschichten ist für mich heute nicht mehr zu bewältigen. Die Menge an Informationen, an Meinungen und nicht zuletzt an reinem Unsinn ist schlicht unüberschaubar. Und gleichzeitig werde ich, ohne es zu merken, von einer Vielzahl von Algorithmen mit genau den Informationen versorgt, von denen der Algorithmus annimmt, dass ich sie sehen will. So verharre ich, wie gefesselt, vor meinem Bildschirm, das echte Leben – die Begegnung, der Austausch mit realen Personen – findet nicht mehr statt. Noch einen großen Unterschied zu früher gibt es: Heute bin ich dieser unendlichen Anzahl von Einflüsterungen allein ausgeliefert. Ich vertraue fernen, gut aussehenden Influencern, will so sein, wie sie und verliere das Vertrauen zu meinen realen Mitmenschen.

Ich besitze nicht die digitale Kompetenz, von der ich so schwärme.

Von Sokrates ist überliefert: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“. Ich finde diese Aussage großartig, die Selbsterkenntnis einzigartig. Aber ich denke in keinen Augenblick daran, dieses Nichtwissen auch auf mich zu beziehen. Ich bin großartig in meiner Unbescheidenheit. Ich habe schließlich Bibliotheken voller Bücher geschrieben.

Ich habe mir jahrtausendelang Gedanken über mich und mein Leben gemacht. Und es ist nichts Vernünftiges dabei herausgekommen, das meine Lebensumstände grundlegend verbessert. Also nicht nur heute, sondern perspektivisch auch für kommende Generationen. Ich halte die Zustände für alternativlos, kann mir ein anderes System gar nicht vorstellen. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, sagte Helmut Schmidt, ehemaliger Bundeskanzler. Für Visionen ist bei mir kein Platz.

Und immer weiter und weiter bemühe ich mich, mein Nichtwissen durch das Abfassen gelehrter Traktate zu verschleiern. Der Fortschritt scheint im Internet, in den scheinbar unendlichen Datenbanken zu liegen, die alles bekannte Wissen fassen. Macht mich das klug?

„Die Wahrheit ist, was Google sagt: wir vertrauen der künstlichen Intelligenz, deren Algorithmen wir nicht verstehen“. (Harari, 2018) Da ist sie wieder, die KI und meine Angst und Abhängigkeit vor und von dem Künstlichen.

Ich habe sogar Bücher über menschliche Denkfehler geschrieben, die mir tagtäglich unterlaufen. Ich lese diese Bücher, bin fasziniert und erheitert. Und am nächsten Tag lande ich wieder in den altbekannten Denkfallen (Dobelli, 2011)(The Cognitive Bias Codex).

Vater und Mutter aller Denkfehler ist, dass ich unverdrossen glaube, ich könnte diese Welt mit meinem Verstand erfassen. Die Menge an Gedanken (inklusive jedweden Unsinns) ist in Zeiten des Internets exponentiell steigend. Es sind aber keine neuen Gedanken und Erkenntnisse. Es sind immer wieder dieselben Zusammenhänge. Es scheint, als kämpfen meine Savanneninstinkte und meine Vernunft permanent um eine korrekte Beurteilung der Welt.

Das geht regelmäßig schlecht aus – für die Vernunft.

Auf der Flucht vor dieser unbequemen Wahrheit verliere ich mich in die Sucht. Ich trinke, esse, arbeite, spiele zu viel. Es ist nicht auszuschließen, dass ich dies in selbstmörderischer Absicht tue, obwohl ich das niemals zugeben würde. Menschliches Übergewicht hat pandemische Ausmaße angenommen (NDR, Jan 2025). Es hat seinen Preis, sich stets und ständig verfügbare hochkalorische Lebensmittel einzuverleiben. Während gleichzeitig die globalen Hungerkatastrophen zunehmen und unglaubliche 30-40% der weltweiten Lebensmittel Produktion nicht beim Verbraucher ankommen (Umweltschutzorganisation WWF, Umweltbundesamt).

Die negativen Auswirkungen meiner durchgetakteten globalen Leistungsgesellschaft sind mir vage bewusst – das hilft mir aber nicht. Zusätzlich verbrauche ich unglaubliche Mengen an Zeit, Kompetenz und wirtschaftlicher Leistung, um die negativen Auswirkungen der fortschreitenden Entmenschlichung des Schneller/Höher/Weiter zu bekämpfen. Ich kämpfe wie Don Quijote gegen die übermächtigen Windmühlen des internationalen Drogen-, Waffen- und Menschenhandels. Diese Entwicklung bedroht zunehmend intakte Staatssysteme, die Kontrolle und Autorität verlieren und in denen nur noch das Recht des Stärkeren zählt. (blickpunkt-lateinamerika.de)
Dabei übersehe ich bewußt den Umstand, dass der/die Konsument*in und seine unerfreulichen Lebensumstände das Problem sind, welches gelöst werden sollte und nicht der Dealer. Aber Geld und Energie in Prävention zu stecken, widerstrebt mir, obwohl es vernünftig wäre.

„Leistung lohnt sich“, eine grandiose Lüge. In dem Begriff „Neoliberalismus“ steckt ein doppelter Mythos. Es ist ganz und gar nichts Neues an dem alten Prinzip: „der Stärkere gewinnt!“ Und zweitens: Von Freiheit keine Spur!

Wenn ich nur darüber nachdenke, jedem Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen zukommen zu lassen, wird mein aktuell falsches System in seinen Grundannahmen infrage gestellt. Und die Wenigen, denen das System nutzt, die die Geschichte erzählen, dass Jede*r es schaffen kann, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden, wehren sich erbittert gegen Veränderungen.  Der bewußt lancierte Mythos vom notwendigen Konkurrenzkampf, der naturgegeben ist – Charles Darwin und Herbert Spencer wären entsetzt, wozu ihre Erkenntnisse missbraucht werden – versperrt mir den ernüchternden Blick auf die Tatsache, dass wir uns, trotz allem vorgeblichem Fortschritt, immer noch in unseren Hamsterrädern abrackern müssen – jedenfalls die allermeisten.

Dabei sollte es uns allen besser gehen!

Die Geschichte vom Alleinverdiener, der seine Familie ernähren kann, ist auserzählt. Heute, wie damals, erzähle ich zunehmend matt die abgegriffene Geschichte, dass sich jede*r in seinem/ihrem Beruf verwirklichen soll. Auch wenn ich mir und meinen Mitmenschen gar nicht die Gelegenheit dazu gebe.

Ich tue nicht, was vernünftig wäre: In Allgemeinbildung zu investieren, die es mir ermöglichen würde, die mich umgebenden falschen und erniedrigenden Zusammenhänge zu durchschauen. Es bestünde dann die reale Gefahr, diesen Wahnsinn ändern zu wollen. Ich würde mich zum Beispiel dem alles zerstörenden Konsumwahnsinn entziehen wollen. Daran kann ein Jeff Bezos kein Interesse haben.

Damit ich diesen zermürbenden Rhythmus des Immer-Mehr aushalte, habe ich eine Achtsamkeitsindustrie gegründet. Westliche Homo sapiens sapiens begründen ihre neue Zuversicht, ihre Heilsversprechen in östlichen Lebensweisheiten, die sie aufgrund fehlender Sozialisation und Lebenserfahrung kaum oder falsch verstehen. Eine Buddha Statue im Garten, eine Klangschale im Regal sorgt für Wohlfühl-Karma.

Die achtsame 5-Minuten Meditation soll mich befähigen, meinen stressigen 10 Stunden Arbeitstag mit kleinen Pausen, im Übrigen aber äußerst produktiv zu überstehen. Bloß immer an die richtige Atmung denken, wenn Chef*in wütend anrauscht.

Wenn ich darüber unglücklich oder gar krank werde, dann steht es mir frei, mich mit diversen Lebensratgebern zu versorgen. Dieser Markt der Lifestyle-Coaches ist gigantisch und wächst und wächst. Diese Ratgebenden erklären mir, was ich falsch mache. Sie erklären mir nicht, dass das System fragwürdig ist und mich kaputt macht. Dass ich in diesem System machtlos bin, ist ein perverser Mythos. Schließlich habe ich dieses System selbst geschaffen. Ich will es doch so, oder?

Wenn ich nun gar nicht mehr funktionieren will oder kann, dann stehen weitere Legionen von Expert*innen bereit. Eine therapeutische Industrie von Körper- und Psychotherapeuten, Heilpraktiker*innen wird sich aufopferungsvoll, wenn auch nicht umsonst, um mein kaputtes Selbst bemühen. Horst-Eberhard Richter hat in seinem Buch „Der Gotteskomplex“   ‚Der Krankheit, nicht leiden zu können‘ einen ausführlichen Abschnitt gewidmet. (Richter, 1979).

Das kranke Selbst kann dabei vielgestaltige Beschwerden verursachen: im Kopf, im Herzen, auch gerne im Rücken. Mein Körper ist die Projektionsfläche meiner unerfüllten Wünsche, meiner Traumatisierung. Dass es mir nicht gut geht, so wird mir erklärt, liegt in meiner unglücklichen Kindheit und Jugend. Wenn ich nur lange genug nachdenke und mich analysieren lasse, dann werde ich einen Weg finden, die aktuell beschissene Lage als angenehm und lebenswert zu empfinden. Es geht nicht um den Logos (die Welt, wie sie ist), sondern um den Mythos (denk dir die Welt schön). Da ist sie wieder – die gefühlte Wirklichkeit.

Auch bei der Reparatur meines verletzten Selbst wird ein wirtschaftlicher Wert gemessen und geschaffen und es wird daran verdient. Ich schaffe einen fragwürdigen wirtschaftlichen Wert, wenn ich fleißig arbeite, aber einen noch fragwürdigeren Wert, wenn ich krank werde. Wann immer etwas verdient wird, gibt es Interessen, die verhindern, dass an dem merkwürdigen Tun oder seinen Ursachen Anstoß genommen wird. Ob die Körper- oder Seelenreparatur im Einzelfall erfolgreich ist, das ist dem System letztlich egal. Das wird in unserer Gesundheitsindustrie nicht gemessen.

Wie schon gesagt: Prophylaxe ist mir langweilig.

Ich bin meinen inneren Plänen und Programmierungen ausgeliefert z.B., dem Instinkt, mich zu vermehren. Dem Imperativ der Evolution entkomme ich nicht. Das Regulativ der periodischen Paarungsbereitschaft ist bei Homo sapiens sapiens ausgesetzt, ich kann und will immer. Eigentlich habe ich zu wenig Planet für zu viel Mensch. Und es gibt den Mythos des heiligen, unantastbaren Lebens. Entgegen aller traurigen Realitäten von Krieg und Gewalt, wird unablässig gefordert, das Leben zu schützen, auch das ungeborene.

Sollte ich nicht damit beginnen, zunächst vor dem bereits existierenden Leben (und nicht nur dem menschlichen) uneingeschränkte Achtung zu haben?

In den Institutionen der katholischen und evangelikalen Kirchen gibt es eine zunehmend starke Bewegung gegen jegliche Art von Geburtenkontrolle (Zeit.de, Südwind Magazin, 2020). Das schließt auch ein Verbot von Kondomen ein, mit denen ich mich auch gegen sexuell übertragbare Krankheiten schützen könnte. Die weltweite Verbreitung der Immunschwäche Krankheit AIDS und die Zunahme anderer sexuell übertragbarer Krankheiten ist unter anderem diesem Sachverhalt geschuldet. Sexualerziehung ist bei den Populisten, den Ultrakonservativen, verpönt. Sie befürchten eine „Frühsexualisierung“ – was auch immer das sein soll – und verdrängen die Tatsache, dass das World wide web voll ist mit Pornographie, auf die jedes Kind fast ungehindert zugreifen kann. Sch

Der unbedingte Schutz der ungestörten Empfängnis und des ungeborenen Lebens ist der heilige Krieg der katholischen Kirche und evangelikalen Bewegungen. Auf das Recht der Selbstbestimmung von Frauen kann ich dabei keine Rücksicht nehmen (Berlin Institut, 2019). Darüber gibt es keine Debatte. Das konservative Rollenverständnis ist klar. Die Frau steht am Herd, der Mann geht zur Arbeit. So ist das von Gott gewollt.

Inwieweit ein Kind und seine Familie nach der Geburt eine Umwelt vorfinden, in der es sich lebenswert leben läßt oder ob Mensch sich im zunehmenden Konkurrenzkampf mit seinen Mitmenschen befindet, ist in dieser Betrachtung nicht vorgesehen. An dieser Stelle greift dann der Mythos von der zukünftigen Welt, dem Paradies. Das Narrativ lautet: Wir leben nicht für Diesseits, sondern für das paradiesische Jenseits. Für das Paradies braucht es nur eine Kleinigkeit: ich muss ganz fest daran glauben.

Eine bange Frage stelle ich mir dabei: wenn wir alle ins Paradies kommen, wieso sollte das dann ein besserer Ort sein? Sind dann alle unsere Mängel von uns abgefallen und wir zum Kern der Weisheit gelangt? Vielen meiner aktuellen und ehemaligen Mitmenschen möchte ich im Paradies auf keinen Fall noch einmal begegnen.

Glauben beschränkt sich aber nicht nur auf die Religion. Im Wesentlichen bin ich ein Glaubenswesen, kein Wissenswesen. In der Savanne vor hunderttausenden Jahren war es wichtig, der Warnung vor einer drohenden Gefahr, Glauben zu schenken, ohne letztlich zu wissen, ob die Gefahr nun wirklich lauert. Besser einmal zu oft weggelaufen, als vorzeitig im Nahrungskreislauf anderer Spezies zu enden. Aber das war doch früher?

Heute bin ich doch viel weiter – oder nicht?

Sorry, dem ist nicht so. Auch heute glaube ich und verwechsele das mit Wissen. Vor allem Fakten, die mir angenehm sind, die meine Meinung unterstützen, nehme ich bevorzugt wahr. (Confirmation Bias). Und wenn ich Glauben mit Wissen verwechsle, dann habe ich ein ernstes und zunehmendes Problem.

Die globalen Probleme werden nicht weniger, wenn ich nicht an sie glaube.

Dem Klimawandel oder dem Corona-Virus ist es völlig egal, ob ich ihn anerkenne oder nicht. Gegen die wachsenden existenzbedrohenden Probleme meines Heimatplaneten hilft nur vertieftes Wissen und geduldiges, anerkennendes Verständnis. Gefolgt von konsequentem Handeln. Beides liegt mir fern.

Wenn ich die düsteren wissenschaftlichen Prognosen über den Klimawandel leugne (EIKE Institut) und die seriösen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen als Panikmacher diskreditiere, werde ich den nachfolgenden Generationen keinen Dienst erweisen.

Das war schon zu allen Zeiten ein probates Mittel im Umgang mit schlechten Botschaften: töte den Überbringer der Botschaft.

Da sind wir dann bei meinem heiligen Gral: der Wissenschaft.

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