Das Patriachat und die Medizin für Frauen

Eine androzentrische Medizin, die kranke Frauen verunglimpft, ignoriert, herabsetzt und schwächt, beschwört bewusst oder unbewusst eine historische Sicht von Körper und Seele einer Frau herauf, die einst entwickelt wurde, um den patriarchalen Status quo aufrechtzuerhalten.  

Da derzeit autoritäre politische Ideologien weltweit auf dem Vormarsch sind, das Recht der Frauen auf ihren Körper eingeschränkt und geleugnet wird und Betroffene kein Gehör finden, hat sich die Medizin erneut zu einem Schlachtfeld entwickelt, auf dem Frauen darum kämpfen müssen, dass man ihnen zuhört und glaubt.

‚Die kranke Frau‘ von E. Cleghorn

Die irrwitzigen Mutmaßungen des Hippokrates über die Ursachen weiblicher Krankheiten bildeten über Jahrtausende eine fatale Basis für die Ignoranz und Unterdrückung von Frauen. In weitgehender Unkenntnis der weiblichen Physiologie mutmaßte der ‚Vater der (modernen) Medizin‘, dass eine fehlende Menstruation bei Frauen zum Wahnsinn führe und dass ein unbeschäftigter (d.h. nicht schwangerer) Uterus im Körper der Frau auf Wanderschaft gehe und Unheil anrichte. Deshalb sollte die Gebärmutter immer beschäftigt sein. Der Samen des Mannes – so die Vorstellung – enthielt alles, was für die Erzeugung des neuen Lebens  erforderlich war. Der weibliche Körper war nur ein Behältnis, indem es sich entwickeln konnte. Von der Eizelle hatte man keine Ahnung.

Geradezu panische Angst hatten Männer seit jeher vor der Menstruation. Plinius der Ältere führte die falschen Vorstellung des Hippokrates weiter, in dem er dem Menstruationsblut gefährliche Eigenschaften zuschrieb: Ernten zu vernichten, Bienen zu töten, Hunde verrückt zu machen, das Wetter zu beeinflussen und natürlich Kinder und Männer krank zu machen. Hat ein Mann Nasenbluten, wird er bedauert, hat eine Frau ihre Monatsblutung, ist sie gefährlich. Diese Vorstellungen hielten sich zum Teil bis ins 20. Jahrhundert. Taliban in Afghanistan haben selbst vor ungetragener Unterwäsche von Frauen panische Angst.

Das Christentum entwickelte verschiedene Mythen, um Frauen für alle Übel der Welt verantwortlich machen zu können. Christliche Männer sahen im weiblichen Körper die Funktion des Kinderkriegens und ansonsten ein Gefäß der Sünde. Das ergab sich schon aus der Schöpfungsgeschichte und der Erbsünde (Vertreibung aus dem Paradies). 

So wundert es nicht, dass im 15. bis 17. Jahrhundert Hunderttausende bemitleidenswerter Menschen – zumeist Frauen – wegen Hexerei hingerichtet wurden. Unter ihnen waren viele unverheiratete, unabhängige Frauen und solche, die das gebärfähige Alter überschritten hatten. Die Menopause wurde als körperliche Krankheit angesehen und mit Hexerei in Verbindung gebraht. Frauen, die den vom Patriachat verordneten, reproduktiven Pflichten nicht oder nicht mehr nachkamen, konnten nur Böses im Schilde führen.

Die Gebärmutter war einerseits das Organ der Schöpfung, also der göttlichen Bestimmung der Frau, andererseits wurde sie als Ursache aller Krankheiten, insbesondere auch der Verwirrung des weiblichen Geistes verdächtigt. Der Uterus, so wurde vermutet, war für die zentrale Steuerung aller Körperfunktionen zuständig. Desto mehr von der weiblichen Anatomie bekannt wurde, desto schwieriger war diese Deutung. Eine vereinfachende Denkweise war, dass Vagina und Eierstöcke im Wesentlichen als negative und mindere Form von Penis und Hoden verstanden wurden. Die Bedeutung der Klitoris war lange Zeit umstritten und die exakte anatomische Darstellung erfolgte erst Anfang der 2000er Jahre (!) durch eine australische Urologin

Doch bis dahin war es noch ein langer Weg der Irrungen und schrecklichen medizinischen Verfehlungen. Im 17 Jhd. bezeichneten Männer die meisten geistigen und körperlichen Symptome von Frauen als „hysterisch“, d.h. von der Gebärmutter kommend. Hysterisch als spezifisch weibliches Symptom blieb auch noch erhalten, als der Bezug zum Uterus aus medizinischer Sicht nicht mehr aufrechterhalten werden konnte.

Aus medizinischer Sicht war die weibliche Seele schwach und empfindlich, Frauen mangelte es an Verstand und Körperkraft, um den Anfeindungen des Lebens zu begegnen. Sie mussten also geschützt werden, um ihren Verpflichtungen beim Kinderkriegen und Führen des Haushaltes gerecht zu werden. Somit war Bildung und Unterricht für Mädchen eine schreckliche Belastung und der direkte Weg zur Sittenlosigkeit. Das schwache Wesen der Frau, so vermuteten die männlichen Ärzte, war durch angsterfülltes Grübeln völlig aus der Fassung zu bringen, so dass sich auch Tumoren – wie Brustkrebs – entwickeln konnte.

Männer hingegen waren über Gefühlsduseleien erhaben und – betrachtet man die Medizingeschichte – offenbar auch frei von jeglicher Empathie, wenn es um das Leid von Frauen ging. James Marion Sims (1813-1883) war ein amerikanischer Chirurg, der als „Vater der modernen Gynäkologie“ gefeiert wurde, gleichzeitig aber an versklavten afroamerikanischen Frauen ohne Narkose neue Operationstechniken ohne jedes Mitgefühl „ausprobierte“. Schwarze Frauen galten gemeinhin als weniger schmerzempfindlich, ein barbarisches Fehlurteil, das sich in Resten bis heute erhalten hat.

Geburtsschmerzen galten als etwas Natürliches und als unverzichtbar, so wie es ja auch in der Bibel steht, dass die Frauen ihre Kinder unter Schmerzen zur Welt bringen sollen. So dauerte es lange bis Chloroform oder andere Möglichkeiten der Anästhesie in der Geburtshilfe Einzug hielten – und zunächst natürlich nur für Frauen der Mittel- und Oberschicht.

Männern (Ärzten) war es offenbar nicht möglich Sexualität und Professionalität zu trennen – und das scheint teilweise bis heute so zu sein. So war die Erfindung und der Einsatz des Spekulums heftig umstritten. Trotz seines Nutzens in der Gynäkologie waren viele Herren Gynäkologen der Meinung, die Untersuchung mit dem Spekulum führe zu einer Erotisierung der Mädchen und Frauen und diese Stimulierung würde einen sittenlosen Strom sexueller Bedürfnisse entfesseln. Gerade junge, unverheiratete Mädchen würden durch den Gebrauch des Spekulums zwanghaft in die Prostitution getrieben. Oder aber, noch viel verwerflicher, zur Masturbation. Dieses schreckliche, einsame Laster war auch jenem unheimlichen und verwerflichen Organ geschuldet, das in den Augen der Männer nur ein Zerrbild eines degenerierten männlichen Penis sein konnte: der Klitoris.

Isaac Baker Brown (1811-1873) war ein bekannter britischer Gynäkologe und Geburtshelfer. Fortschrittlich verwendete er schon Chloroform zur Anästhesie. Was er dann allerdings tat, um seine Patientinnen von neurotischer Hysterie infolge Masturbation zu heilen, war unmenschlich: Er entfernte die Klitoriseichel, durch Abschneiden oder Ausbrennen. Damit, so argumentierte er – völlig ohne Selbstzweifel – steige die Lebensqualität der Patientinnen und der Eingriff sollte in so jungen Jahren wie möglich durchgeführt werden. Stellen wir uns nur kurz vor, etwas Vergleichbares würde einem jungen Mann, der sich des ‚Vergehens‘ der Masturbation schuldig gemacht hat, zugemutet.

Neben der Monatsblutung war auch die Funktion der Eierstöcke ein Mysterium. Nichtsdestotrotz hatten Ärzte dazu eine Menge zu sagen und – schrecklicherweise – auch zu operieren. Die Eierstock-Nerven wurden als Ursache für physische und vor allem auch psychische Leiden angesehen. Durch die „Battey’s Operation“, also eine Entfernung der Eierstöcke, sollten Hysterie, Neurasthenie und Menstruationsstörungen erfolgreich behandelt werden. Betroffen waren hier vorwiegend alleinstehende marginalisierte Frauen, die sich zur Behandlung in Nervenheilanstalten eingewiesen wurden.

Schwangerschaft und Geburt waren und sind auch heute noch in vielen Teilen der Welt ein erhebliches gesundheitliches Risiko für die Frau. 1910 war der Tod im Wochenbett – nach dem Suizid ! – die häufigste Todesursache bei Frauen zwischen 20-39 Jahren in den USA. Schwangerschaft – insbesondere ungewollte – und auch sexuell übertragbare Krankheiten standen und stehen immer in direktem Zusammenhang zu Bildung und Aufklärung der Gesellschaft.

Viel einfacher als Vorsorge und Aufklärung scheint doch eine chirurgische Maßnahme: 

Der Lobotomie-Wahnsinn etablierte sich in den 1940er- und 1950er-Jahren überall in den USA und in Europa in Kliniken, psychiatrischen Anstalten und Krankenhäusern. Geschätzte 40000 bis 50000 Operationen fanden allein in den USA statt, rund 17000 in Großbritannien. Am häufigsten wurden emotionale Anspannung, Depression, Zwangsneurosen, Angst, Hypochondrie und Psychosen als Begründung für die präfrontale Lobotomie angegeben. Wenn Frauen es wagten, einem seelischen und emotionalen Schmerz Ausdruck zu verleihen, für den die Ärzte keine Erklärung hatten, waren sie ideale Kandidatinnen für eine Lobotomie. Wie bei der Ovariektonie und der Klitoridektomie hieß es, die Lobotomie könne verhindern, dass Frauen in den völlig überbelegten psychiatrischen Anstalten landeten. Fast alle der beschriebenen Hausfrauen litten an Depressionen. Und der Erfolg der Lobotomie wurde daran gemessen, wie willig sie ihre Haushaltspflichten wieder aufnahmen.

In einer misogynen Gesellschaft stehen Frauen unter dem Generalverdacht, Männern manches Unheil anzutun. In einer misogynen Sklavenhaltergesellschaft wie den USA wurden und werden schwarze Frauen doppelt diskriminiert. Nicht nur von ihren eigenen Männern, sondern auch von der weißen Bevölkerung, die in der „zügellosen“ Sexualität der „kriminellen“ Farbigen eine Bedrohung sah. So wundert es nicht, dass die „Geburtenkontrolle“ mancherorts menschenverachtende Züge hatte. Bei der „Mississippi-Appendektomie“ handelte es sich – unter dem Vorwand einer Blinddarm-Op – um eine Zwangssterilisation durch Entfernung der Eileiter und Gebärmutter bei afroamerikanischen Frauen in den Südstaaten der USA in den 1920-1980er Jahren. Eugenik war und ist nicht nur eine schicksalhafte Verfehlung der Nationalsozialisten.

Auch die Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten (STI), wie der Syphilis führte zu hohen Krankheits- und Todesraten. Lange Zeit war diese „unaussprechliche moralische Geisel“ ein Mysterium. Seit dem 16. Jhd. wusste man, dass die Krankheit durch Geschlechtsverkehr übertragen wurde. Feindliche Armeen wurden verdächtigt die Franzosenkrankheit, die spanische oder die polnische Krankheit zu verbreiten, je nach Feindbild. Die unschuldigen, tapferen Soldaten wurden von angeblich symptomlosen Sexarbeiterinnen angesteckt. Frauen waren die Verführer, Männer die Opfer.

Heute sind die STI wieder auf dem Vormarsch. Und überall da, wo es an Aufklärung fehlt und medizinische Vorsorge aus Kostengründen unterbleibt, werden insbesondere junge Menschen mit ihren Fragen und Ängsten alleingelassen. Insbesondere in Ländern, in denen Religionen und Kirchen Schutz und Verhütung, z.B. durch Kondome, als Sakrileg ansehen. Das trifft nicht nur auf Afrika, Indien und Südamerika zu, sondern auch auf „fortschrittliche“ Staaten, wie die USA. Dabei geht es nicht nur um die Verhütung der STI’s, sondern auch um das große Thema der Abtreibung.

Chronische Krankheiten bei Frauen sind bis heute unzureichend erforscht. Und es steht zu befürchten, dass der populistische Zeitgeist an der Forschung diesbezüglich wenig Interesse hat. Dazu gehören die Endometriose, die rheumatoide Arthritis, die Fibromyalgie, das chronische Erschöpfungssyndrom, die Multiple Sklerose, die Colitis ulcerosa und der Lupus. 

Nicht erst im Jahr 2025 versucht das Patriarchat die Zeit zurückzudrehen. In den USA wird medizinische Versorgung und Forschung Frauen betreffend in absurder Weise reglementiert, auch die Sprache wird vergewaltigt. Wörter wie ‚women‘ ‚gender‘ dürfen in wissenschaftlichen Publikationen nicht mehr verwendet werden. Unter dem Vorwand, Diskriminierung zu bekämpfen, werden Forschungsgelder verweigert, Institute geschlossen und internationale Kooperationen beendet (PM-Report 2025).

Frauen haben, so die WHO, völlig andere medizinische Bedürfnisse als Männer, in der Forschung aber blieben die unterschiedlichen Auswirkungen chronischer nicht übertragbarer Krankheiten viel zu lange unberücksichtigt. Die Global Health Alliance wies 2014 in einem Bericht darauf hin, dass Mängel in der medizinischen Forschung und Finanzierung weltweit für verspätete Diagnosen, schwere Verläufe und vorzeitige Todesfälle bei Frauen verantwortlich sind.

Jahrhundertelang wurde der weibliche Körper dämonisiert und diskriminiert, bis wir uns selbst davor fürchteten und uns seiner schämten. Die Medizin hat im Lauf ihrer Geschichte das Frausein und den Frauenkörper so massiv pathologisiert, dass die Unpässlichkeit der Frau in Gesellschaft und Kultur zum Normalzustand wurde und ihr Recht über den eigenen Körper bis heute umstritten ist.

Zitate aus ‚Die kranke Frau‘ von E. Cleghorn