Aktualisiert Januar 2025
“Die Spanische Grippe wird zu Unrecht als Fußnote des Ersten Weltkriegs behandelt – sie forderte wohl mehr Opfer als beide Weltkriege zusammen“
Die weltweite Krise der COVID-19-Pandemie (2020-2022) hat -wieder einmal-offengelegt, welche gravierenden Probleme und Widersprüche in der gesellschaftlichen Komplexität meiner globalisierten Welt lauern. Staunend sah ich, wie sich die globalen Konstruktionen wanden und brüchig wurden, wie die ‚Normalität‘ sich als das erwies, was sie eigentlich ist: ein Mythos. Zum Glück habe ich aber ein kurzes Gedächtnis und kann mich kaum noch daran erinnern (Drosten/Mascolo, 2024).
Ich war in Kenntnis einer zu erwartenden pandemischen Gefahr durch ein Virus, das z.B. über die Luft übertragen wird. Trotzdem sprach ich tapfer und völlig unbedarft: „Ich muß keine Masken tragen, das ist nicht erforderlich. Ein wenig Abstand halten genügt!“ Es war klar, warum ich so argumentiere: denn ich hatte nicht vorgesorgt und somit nicht genug Masken für alle vorrätig. Von wegen für alle: ich hatte noch nicht mal für mein medizinisches und pflegendes Fach-Personal genügend vorrätig.
Ich hatte aus vergangenen Pandemien nichts gelernt, obwohl es ein Gutachten über die Gefahrenlage gab: es muss noch in irgendeiner deutschen Behörden-Schublade liegen. (RKI, 2013). Darin wird beschrieben, welche potentiellen Folgen zu erwarten sind, wenn eine hoch ansteckende, per Aerosol übertragene Krankheit das Gemeinwesen überfällt. Das Szenario war so bedrückend, dass ich es lieber nicht wissen wollte. Ich habe auch nicht auf die Virologinnen und Virologen gehört und ihre Warnungen anläßlich der SARS Epidemie 2002-2003.
Ich hatte anderes zu tun, als mich um die Gesundheit meiner Mitmenschen zu kümmern. Das COVID-19 Virus hat mich wieder kalt erwischt. Ich dachte und denke immer noch: Katastrophenpläne und die Gesundheitsämter vorbereiten, Vorräte anzulegen, zum Beispiel Beatmungsgeräte und Personal vorzuhalten, darum kann ich mich immer noch in Ruhe kümmern, wenn das Haus in Flammen steht.
Von Welle zu Welle mache ich keine Lernfortschritte, sondern mit Begeisterung immer wieder die selben Fehler. Dann war das Bild der Welle nicht mehr treffend und ich knallte ohne Plan mit voller Wucht auf eine Wand. An der Wand starben täglich hunderte von Menschen.
International mache ich auch keine bessere Figur, was sie Vorbereitung und die Bewältigung der Pandemie betrifft. (The Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response, 2021) Internationale Solidarität, eine grundlegende Voraussetzung zur Bekämpfung einer Pandemie: Fehlanzeige. Der globale Süden hat angesichts der Pandemie deutlich gemerkt, was von den Versprechungen der Industrienationen des Nordens zu halten ist: Nichts. Keine patentfreien Impfstoffe, jeder ist sich selbst der Nächste (BMZ).
Ich habe wieder die sprichwörtliche Affen-Strategien angewandt: nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen. Einer meiner klassischen Denk-Fehler: der Survivorship Bias. Von meinen – eher wenigen – Erfolgen geblendet, sehe ich nicht, was mir total daneben geht. Unangenehme Nachrichten blende ich sowieso lieber aus. Zum Beispiel die ganz aktuelle Meldung, dass das Vogelgrippe Virus erstmals auch bei Rindern nachgewiesen wurde, in größeren Mengen auch in der Milch der Kühe und ich keine Ahnung habe, ob die nächste Pandemie gerade an die Tür klopft (Science Media Center). Die Trump Administration hat begonnen, die akademische Forschung zu beeinträchtigen, insbesondere in Bereichen wie Diversität, Gleichberechtigung, Inklusion und Barrierefreiheit (yahoo 4,2025).
Dies ist keine zukunftsfähige Strategie, das ist Flucht vor der Realität.
Oder auch wie es in der virologischen Wissentschaft pointiert wird: The cycle of panic and neglect.
Weil ich auf Vorsorge pfeife, weil zu teuer, blieb mir keine Zeit, Strategien zu entwickeln, einen kompletten Lockdown der Gesellschaft zu vermeiden. So verleugne ich standhaft die drohende Gefahr. Statt dessen halluziniere ich von Verschwörungen böser Mächte. Ich habe keinen großen Plan. Und wenn ich wenigstens einen kleinen Plan habe, mache ich viele Gewese darum, setze ich ihn dann aber nicht um (zum Beispiel die Anschaffung von Luftfiltergeräten in Schulen). Auch im Nachgang der Pandemie sind Pläne für einen differenzierten Infektionsschutz in Schulen nicht erarbeitet worden. Je länger die Covid Pandemie andauerte, desto hilfloser und kleinteiliger wurden meine Antworten auf die Herausforderungen. Wie so oft zeigte sich, dass ich mich nicht lange auf eine Sache konzentrieren kann. Das Virus machte derweilen ungerührt sein Ding.
Und die nächste Pandemie lauert schon (Eckerle, 2023).
Im Nachhinein kann ich meine falschen Handlungsweisen sehr gut begründen, möglicherweise sehe ich sie kurzfristig auch als Fehler an. Trotzdem handele ich in einer vergleichbaren Situation ähnlich fehlerhaft. Wie es Einstein schon bemerkte: immer wieder denselben Fehler machen und zu hoffen, dass irgendwann etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Ist das der vielgerühmte menschliche Logos?
Ich bin erschöpft und müde und wollte und will rasch wieder zu meiner geliebten Normalität zurückkehren.Aber weder weiß ich, was normal ist, noch weiß ich, wie ich dahin zurückkommen soll. Die Chance, inne zu halten, nachzudenken und umzukehren, sich für eine nachhaltigere Lebensweise zu entscheiden, vertue ich wiederum. Es wird sich schon jemand um mich kümmern, wenn ich krank werde – falls es dann nicht nur leere Betten, sondern auch Pflegepersonal gibt. Das ist eher fraglich.
Dass der Eid des Hippokrates von angehenden Ärzt*innen geleistet wird, ist ein Fernseh-Mythos. Sein Inhalt hat für mich heute keine Bedeutung mehr. Dass ich meine Lehrer achten und im Alter unterstützen soll, wird in unserer Gesellschaft nicht mehr als relevant angesehen. Im Gegensatz zum Helfen, ist das Verdienen viel wichtiger geworden. Das kranke Gesundheitssystem verführt dazu und begünstigt es.
In den Werbeanzeigen von ärztlichen Praxen ist der Slogan zu lesen: „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“. Ich frage mich dann erstaunt: Was bitte soll sonst im Mittelpunkt von medizinischem Handeln stehen?
Ich kann es leider nicht leugnen: Es ist der Profit. (Deutsches Ärzteblatt 2018)
Ich habe einen Markt geschaffen, mit dem ich unglaublich viel Geld verdienen kann. Die kranke Aufteilung in eine zwei Klassen Medizin von privaten und gesetzlich versicherten Menschen erscheint wie ein Relikt aus der Feudalzeit. Ist denn die Gesundheit ein Handelsgut, von dem sich reiche Menschen mehr leisten können als arme? Ja, dafür habe ich gesorgt.
Erstaunt höre ich die Klagen, dass auch in der durchgemachten Pandemie vor allem wieder sozial schlechter gestellten Menschen betroffen sind. Dabei handelt es sich um eine epidemiologische Binsenwahrheit. Aber auch dieser Erkenntnis-Stein ist mir wieder entglitten und den Hügel runtergerollt.
Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher. (Orwell, 1945) Das gilt insbesondere für das Menschen-Tier und das offenbar weltweit.
Es stellt sich die Frage: Wird denn wenigstens eine qualitativ hochwertige Gesundheit verkauft? Antwort: Teils, teils.
In den wohlhabenden Ländern der ersten Welt handelt es sich um eine kostenintensive Ersatzteil Medizin, die punktuell hilft. Da Krankenhaus-Betreiber und Investoren von medizinischen Versorgungszentren in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden, ist ein Mehr an Leistung im Wesentlichen nützlich für die Aktionäre. Die schmerzende Hüfte ist schnell und profitabel gewechselt, an meinem ursächlich verantwortlichen Übergewicht und/oder Bewegungsmangel hat kein Chirurg ein Interesse. Daran bin ich selber schuld, oder?
Wo bleiben das Geld und die Initiativen für eine Gesundheitsprävention? Welcher Arzt, welche Ärztin hört mir in der Sprechstunde länger als 3 Minuten zu, ohne unruhig auf den Terminplaner zu blicken? Es ist kein Wunder, wenn ich mich, weil mir kein offizieller Mediziner zuhört, zu solchen Behandlern begebe, die sich in einer Marktlücke – nennen wir sie Zuwendung und Verständnis – niedergelassen haben. Und dabei mit oft fragwürdigen Methoden für meine Gesundheit und Wohlergehen und vor allem für den eigenen Geldbeutel sorgen wollen.
Wenn zum Beispiel der Zugang zu universitär ausgebildeten Psychotherapeuten eine Mangelware ist, dann eile ich bereitwillig zu Scharlatanen, wie dem Heilpraktiker für Psychotherapie. Für diesen ‚Beruf‘ gibt es keine verbindlich geregelte Ausbildung, da darf jede*r bis an die Grenzen der eigenen Fähigkeiten und weit darüber hinaus Unheil anrichten. In unserem geordneten Staat werden Imbissbuden besser überwacht und qualitativ beaufsichtigt.
Und wo bleiben der Einsatz und die Mittel für das pflegende Personal – für Gespräche und für die Zeit in der Alten- und Krankenpflege?
Die Wertschätzung für die ECMO (Extrakorporale Membranoxigenierung im Rahmen der Intensivmedizin), deren Bedeutung es während der Hochzeiten der Pandemie in die allgemeine Medienlandschaft geschafft hat, ist durchaus berechtigt.
Die Wertschätzung für die Menschen, die sie bedienen, ist dagegen katastrophal gering ausgeprägt. Ich habe akribisch die leeren Krankenhaus-Betten, die mir in der Pandemie zur Verfügung standen, gezählt. Und derweilen haben die Pflegenden scharenweise das Weite suchen. Wer pflegt mich jetzt im leeren Bett? (Statistisches Bundesamt)(Deutscher Pflegerat).
Die Ökonomisierung der Medizin und der gesamten Wissenschaft ist ein grundlegendes und schwerwiegendes Problem. Wie unabhängig ist die Wissenschaft heute?
Seit Jahren weiß ich, dass eine umfangreiche Publikationsliste von mir dadurch erreicht werden kann, wenn ich nicht korrekt arbeite und meine Ergebnisse einer Über-Prüfung (peer review) dann nicht standhalten. So habe ich eine Reihe von pseudowissenschaftlichen Zeitschriften gegründet, die sich nicht mit einem Kontroll-Verfahren über die Qualität meiner eingereichten Arbeit absichern. Alles wird veröffentlicht, wenn ich es bezahle. Ich organisiere sogar wissenschaftliche Fake Kongresse. Ob und wie lange diese wissenschaftliche Reputation Bestand hat, interessiert mich nicht. (Eliezer Masliah, Alzheimer Forschung).
Diese Reputation ist wiederum Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere, für Jobs, für Drittmittel. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter schleppe ich mich von Befristung zu Befristung – Festanstellungen sind wie Goldstaub (Wissentschaftzeitvertragsgesetz). Unter solchen Bedingungen kann kein solider wissenschaftlicher Fortschritt entstehen. Ein solcher Fortschritt für die menschliche Zivilisation ist aber bei den vielen Problemen vor denen wir stehen dringend erforderlich. So aber produziere ich nur Science-Müll, der, insbesondere von wissenschaftlichen Laien, nur schwer erkannt werden kann.
Gefährlich ist es auch, wenn selbsternannte Expert*innen mich verunsichern. Wenn Titel und Auszeichnungen mich täuschen. Wenn mir zum Beispiel ein Arzt erklärt, eine Masernimpfung löse bei Kindern Autismus aus (Dr. med. Andrew Wakefield). Oder wenn zwei Nobelpreisträger das allgemein anerkannte Faktum des Klimawandel – heute können wir schon von einer Klimakatastrophe sprechen -abstreiten (World Climate Declaration). Besagte Herren Nobelpreisträger sind Physiker und haben in ihrer beruflichen Laufbahn nie mit Klimawissenschaften zu tun gehabt, geschweige denn dazu veröffentlicht.
Sind solche Mythen erstmal in der Welt, sind sie kaum noch auszurotten. Sie reihen sich ein in die Legionen der pseudowissenschaftlichen Lügen, die zu allen Zeiten von mir geglaubt und verbreitet werden. Wenn der 45. amerikanische Präsident vor laufender Kamera empfiehlt, gegen das Corona Virus therapeutisch Chlorbleiche zu injizieren, oder sich starkem Licht auszusetzen, dann ist das die Spitze der Absurdität- und lebensgefährlich.
Die Ökonomisierung der Wissenschaft führt zu einem globalen Wettbewerb zwischen den Instituten. Dabei handelt es sich nicht um einen fairen Wettbewerb. Ich verzerre diesen Wettbewerb mit Geld und Lobbyinteressen.
Grundlagenforschung, als auch Forschung außerhalb des Mainstream vernachlässige ich (undone science), weil sie wenig rentabel ist. Zum Beispiel:
- Langzeitstudien zu den Gesundheitsrisiken von Pestiziden oder von Mikroplastik
- Während es viele Studien gibt, die kurzfristige Auswirkungen von Pestiziden untersuchen, fehlen oft umfassende Langzeitstudien zu chronischen Erkrankungen wie Krebs oder neurologischen Störungen.
- Alternative Energien gegenüber fossilen Brennstoffen
- Jahrzehntelang floss ein Großteil der Forschungsgelder in die Optimierung fossiler Brennstoffe, während Studien zu erneuerbaren Energien vernachlässigt wurden. Erst mit der Klimakrise änderte sich dies langsam.
- Nebenwirkungen von Medikamenten bei Frauen
- Viele medizinische Studien wurden historisch an Männern durchgeführt, sodass es Lücken in der Forschung gibt, wie Medikamente speziell auf den weiblichen Körper wirken.
- Untersuchung alternativer ökonomischer Modelle
- Die Forschung konzentriert sich stark auf kapitalistische Wirtschaftsmodelle, während alternative Systeme wie Postwachstumsökonomie oder Gemeinwohlökonomie oft unterfinanziert sind.
- Soziale und psychologische Auswirkungen der Digitalisierung
- Während viel Forschung zu technischen Aspekten der Digitalisierung existiert, gibt es vergleichsweise wenige Studien zu langfristigen sozialen und psychischen Folgen, etwa durch soziale Medien oder Künstliche Intelligenz.
Ich bevorzuge prestige- und gewinnträchtige Forschung, deren Ergebnisse sich im besten Fall in steigenden Umsatzzahlen und Börsennotierungen widerspiegeln. Eine weltweit koordinierte Forschung ist extrem wichtig, hier existieren zahlreiche Organisationen. Allerdings scheitert sie auch an ideologischen Grenzen (USA 01,2025)(Argentinien 02,2025). So werden Energien und Ressourcen vergeudet
Wir werden diese Energien und Ressourcen irgendwann nicht mehr haben.
Die Covid-19 Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie Geld (BMBF, 2020) Forschung beschleuniget hat. Aber das passiert nur dann, wenn der Dachstuhl brennt und die Not – und der zu erwartende spätere Profit – am größten ist. Forschungsprojekte, die Prophylaxe und die Verbreitung von Krankheiten, wie AIDS oder Tuberkulose in der dritten oder vierten Welt ergründen wollen, sind weniger gut ausgestattet. Dieses Vorgehen erscheint mir mehr als kurzsichtig. Kann ich wissen, welche Dynamik in diesen, angeblich überwundenen Krankheiten noch stecken kann?
Aber das Nachdenken über Morgen ist nicht meine Stärke.
So vernachlässige ich scheinbar unspektakuläre Projekte wie Aufforstung oder Agrarumwandlung zur Ernährung von hilfsbedürftigen Menschen in sich vergrößernden Wüstenregionen und deren Wasserversorgung. Wir sehen die Hunger- und Durstkatastrophen kommen, aber tun nichts dagegen.
Das ferne Leid? Das interessiert mich nicht. Es wird aber, so viel ist sicher, kein fernes Leid bleiben – es wird mich selber irgendwann betreffen. Wie lange wird mein Acker mich noch ernähren, wenn ich ihn pausenlos vergifte?
Wissenschaft und Technik sind des Homo sapiens sapiens größtes Image Projekt. Es verschleiert am besten mein Unvermögen, die Welt, unsere Umwelt zu begreifen, wirklich zu verstehen. Die Bedürfnisse der Welt sind meine – unser aller – Bedürfnisse. Umgekehrt verhält es nicht so. Der Welt sind meine Bedürfnisse völlig egal. Wie unsere und die Bedürfnisse der Umwelt in Einklang gebracht werden können, kann – wenn überhaupt – nur faktenbasierte, ideologiefreie und von wirtschaftlichen Belangen freie Grundlagenwissenschaft klären.
Um meinen ausufernden Lebensstil mit ungebremster CO2 Freisetzung weiter führen zu können, denke ich über monströse technische Lösungen nach, die nicht zielführend – im schlimmsten Fall sogar gefährlich – sind. Im Falle der Klimakatastrophe plane ich Geoengineering, wie Solar Radiation Management.
Im Namen der Wissenschaft begehe ich sogar Verbrechen. Verbrechen gegen mich selbst, als auch Verbrechen gegen meine Mitgeschöpfe. Letzteres ist unzweifelhaft erkennbar in meiner tradierten Idee, Tierversuche könnten mir in dem Verständnis menschlicher Krankheiten und ihrer Bekämpfung weiterhelfen. Der Philosoph Descartes („Ich denke, also bin ich“, Meditationes de prima philosophia, 1641) erkannte sich selbst ein Sein und Denken zu, nicht aber Tieren, die er als reine Automaten – als Maschinen – begriff.
Ob er allerdings tatsächlich Hunde vivisezierte hat und in ihrem qualvollen Schreien nur das Quietschen einer inneren Mechanik gehört haben will, ist fraglich. Allerdings war die Sektion von Tieren ohne Narkose im 17. Jahrhundert nicht unüblich. Empathie verteile ich sehr ungleich. Wenn ich meinem geliebten Haustier allen erdenklichen Luxus und Pflege zukommen lassen, akzeptiere ich gleichzeitig millionenfaches Leid der sogenannten Nutztiere, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass zum Beispiel auch Fische eine Selbstwahrnehmung haben. (Metzinger, 2021)
Betrachte ich die Theory of Mind. Ich, Homo sapiens sapiens, behaupte, dass ich genau weiß, wer von meinen Mitgeschöpfen zu welcher Geistesleistung fähig ist. Jedes menschliche Individuum weiß, so vermute ich, dass es im Kopf eines anderen Individuums eine unterschiedliche Ideenlandschaft gibt und richtet sein eigenes Handeln danach aus. Moderne Forschungsergebnisse zeigen eindeutig, dass auch Tiere über ein emotionales Bewusstsein verfügen. Dass sie Empfindungen haben, Freude und Trauer erleben, in ihrer Weise auch lügen, lachen oder Unsinn machen können. (Safina, 2017)
In Abwandlung des Descartes-Zitats halte ich mich unverändert für herausragend. „Ich denke, also bin ich was Besonderes“.
Es wurden und werden in der Vergangenheit und Gegenwart hunderttausende von Tieren in den Versuchslaboren – zum Beispiel von der Zigarettenindustrie umgebracht – um die Giftigkeit unterschiedlicher Tabaksorten oder Beimischungen zu Zigaretten oder Verdampfer zu testen. Oder die angebliche Harmlosigkeit von menschengemachten Umweltgiften zu ermitteln. Dazu mussten Primaten Autoabgase einatmen. Je nachdem, welches Versuchstier ich verwende, kann ich auch Ergebnisse erzielen, die meinen Zielen und vorgefassten Meinungen am besten entsprechen.
Das hat nichts mit Wissenschaft zu tun, das ist Hokuspokus. Lange Zeit habe ich die Gefährlichkeit von Bisphenol A in Kunststoffen dadurch heruntergespielt, dass ich die Substanz an speziell gezüchteten Mäusepopulationen getestet habe, die mit dem menschlichen Hormonsystem nichts zu tun haben. Aber ich behaupte voller Überzeugung, ich könne an den Ergebnissen aus Tierversuchen etwas über den Menschen lernen.
Ich könnte, wenn ich Elektroden im Hirn von Affen versenke, deren Gedanken lesen. Und könnte dann menschliche Empathie als Funktion von sogenannten Spiegelneuronen besser verstehen. Empathie ist offenbar ein sehr begrenztes Gut. Ich hab nicht soviel davon – wenn ich ehrlich bin.
Neben der absurden Massentierhaltung, habe ich eine weitere unsägliche Industrie geschaffen, die Versuchstiere herstellt. Ich kann sie im Katalog auswählen. Tiere mit künstlich erzeugten Gendefekten, mit Tumoren oder mit Stoffwechselstörungen. Meine Mitgeschöpfe, die ich zu einem kranken, leidvollen Leben geboren und verurteilt habe, lasse ich mir auch noch patentieren. Dann kann niemand außer mir diese Krebsmäuse verkaufen oder Affen mit Parkinson. Versuchstiere gibt es auch im Sonderangebot, wenn ihre Haltbarkeit abläuft. Werden sie nicht verkauft, werden sie getötet. So wie die Mehrzahl der Versuchstiere, die meine Versuche nicht überleben.
Die Giftigkeit eines Stoffes wird angegeben durch die letale Dosis. Da eine solche Dosis bei mir selbst – verständlicherweise – nicht ermittelt werden kann – außer in den ganz finsteren Zeiten (Bundesärztekammer, 2011), erforsche ich sie an Tieren. So beschreibe ich die letale Dosis (LD 50) als den Wert eines Gift-Stoffes bei dem 50 % der Versuchstiere sterben. Um diesen Wert zu ermitteln, muss ich Versuchsreihen anstellen, um diesen Wert einzugrenzen. In meinem Bemühen einen fragwürdig nützlichen Wert zu ermitteln, werden umsonst Tiere gequält und getötet. Ob sich dieser Wert auf den Menschen übertragen läßt, ist fraglich.
Die Wirkung von Antidepressiva teste ich an Ratten. Ratten sind nicht depressiv, es gibt darauf keinen Hinweis. Vielleicht werden sie es, wenn sie mich im weißen Kittel durch das Labor laufen sehen. Ich setze sie in ein Gefäß mit Wasser, aus dem sie nicht entkommen können. Sie müssen in panischer Angst schwimmen, um nicht zu ertrinken. Bis sie entkräftet aufgeben. Dann bekommen Sie eine Dosis Antidepressiva und wenn sie bei dem folgenden Schwimmversuch länger aushalten, dann glaube ich, dass dieses Antidepressivum Wirkung zeigt (Ärzte gegen Tierversuche). Es ist absurd.
Wenn ich lese, dass menschliche Gefangene der Foltermethode namens Waterboarding unterzogen werden, beschleicht mich entsetztes Grauen. Bei Ratten geht meine Empathie sprichwörtlich baden.
In dem letzten Satz meiner pseudowissenschaftlichen Tierstudien bekenne ich dann kleinlaut: „Weitere Studien sind erforderlich“. Was bedeutet – weitere Tiere werden geopfert und weitere Doktoranden bekommen einen Titel. Irgendwann werde ich die potentiellen neuen Medikamente an menschlichen Versuchspersonen testen müssen, weil alles andere mir nicht hilft: Es ist erforderlich. Ich kann mich nicht auf die vorangehenden Ergebnisse der Tierversuche verlassen.
Das Schmerz- und Rheumamittel Benoxaprofen verursacht beim Menschen schwere Nebenwirkungen wie Nierenversagen, im Affenversuch konnte das nicht festgestellt werden, weil die Tiere den Stoff schneller verstoffwechseln. (Gericke, 2015) (PETA)
Ich weiß über den genauen Wirkmechanismus eines Medikaments im menschlichen Körper nicht im Detail Bescheid. Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten sind ebenfalls nicht komplett bekannt. Antidepressiva sind ein Beispiel dafür, dass bei fehlendem Verständnis der zu Grunde liegenden biochemischen Prozesse dieser Substanzgruppe im menschlichen Organismus, trotzdem im klinischen Alltag häufig eingesetzt werden. Sie wirken, das genügt mir. Nicht bei allen Menschen, auch nicht direkt, sondern erst nach einer gewissen Zeit und eine direkte Dosis-Wirkungsbeziehung gibt es nicht. Ich nenne das: Den Serotonin-Mythos. (Bschor, 2018)
Gerade erst beginnt die Medizin zu erforschen, dass Frauen eine spezielle geschlechtsangepaßte Behandlung benötigen – eigentlich selbstverständlich. Ich habe in den vergangenen Jahrtausenden viel darüber geschrieben, dass Frauen anders sind als Männer. Damit sollte aber in der Regel die weibliche Minderwertigkeit bestätigt werden (Müller, 1984).
Der weibliche Körper hat eine eigene sehr spezifische Evolution hinter sich (Bohannon, 2024). Eine Männer-Medizin ist für Frauen nicht heilsam, sondern schädlich. Aber während tausender Jahre männlich dominierter Medizingeschichte wurde das fehlende Wissen um den weiblichen Körper und die Fortpflanzung dazu verwendet, wüste Fantasien über einen im Körper der Frau herumgeisternden Uterus zu verbreiten. Die dadurch angeblich verursachten Krankheiten der Frau konnten nur durch ständige Schwangerschaften geheilt werden. Laute Geräusche sollten den Uterus erschrecken, damit er wieder seinen Platz rutscht (Cleghorn, 2022).
Das scheint genauso sinnvoll, wie ein lauter Trommelwirbel, damit der Verstand in den Kopf mancher Männer springt.
Männliche Labortiere werden bevorzugt, sie sind bezüglich des Hormonstatus einfacher zu handhaben. Was aber bedeutet, dass die resultierenden Ergebnisse nicht gleichermaßen auf ♂ und ♀Individuen angewandt werden können. So gibt es bei Medikamenten bislang keine unterschiedlichen Dosierungsempfehlungen für Männer und Frauen.
Noch ein Mythos gefällig? Mein wundersamer Glauben an die Wirksamkeit der Homöopathie! Ich erfinde die Geschichte davon, dass „Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“, stelle eine Verdünnungsreihe her (oder sollte ich besser schreiben: eine Verdummungsreihe), bis nur noch die Idee eines Wirkstoffmoleküls in dem Zucker-Kügelchen vorhanden ist. Es bedarf keiner Wirksamkeitsstudie für diese Zuckerli, es reicht, wenn ich sage: Es wirkt! Und als Höhepunkt der Verdummung sind diese Präparate in Deutschland Apotheken-pflichtig und erhalten somit den Ritterschlag mit wirklichen Medikamenten in einem Schrank stehen zu dürfen und von akademisch ausgebildeten Apotheker*innen verkauft zu werden. Die sich dafür nicht zu schade sind.
Ein klassisches Beispiel für Unvernunft. Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathie, über den Placebo-Effekt hinaus, belegen (Shang et al, 2005). Sie verkaufen sich aber bestens, es ist ein Millionen Geschäft. Das ist kein Mythos.
Zum bitteren Ende: Ganz ungern, eigentlich gar nicht, erinnere ich mich an die dunkelsten Zeiten meiner „wissenschaftlichen“ Bemühungen. Daran das die Anfangserfolge der Wehrmacht im 2. WK nur möglich war, weil die Soldaten (nach den ersten systematischen Drogenversuchen der Militärgeschichte) mit Metamphetamin vollgepumpt waren (Ohler, 2015).
Und daran, dass im Namen des wissenschaftlichen Logos schreckliche Verbrechen an wehrlosen Menschen verübt worden sind. Ich verdränge die medizinischen Versuchsreihen an hilflosen Frauen, Männern und Kindern in den Konzentrationslagern, in den Alten- und Pflegeheimen. Hier war keine menschliche Intelligenz am Werk, hier herrschte der reine Sadismus. Das war keine „Medizinische Forschung“ , das war Quälerei, Perversion, Mord (Mitscherlich, Mielke, 1989), (Kater, 2000).
Ich schäme mich. Niemals sollte ich diese Schuld vergessen. Auch nicht, wenn die modernen Faschisten verächtlich von einem Schuldkult sprechen und damit die Verantwortung für das Grauen des NS Regime leugnen.